19.10.2023 – Spielräume – Ö1 – Andreas Felber — – Details
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Carla Bley
Die Jazz-Komponistin und -Pianistin ist 87-jährig verstorben
Noch bevor man sie kannte, kannte man ihre Kompositionen: Als das bahnbrechende Jimmy Giuffre Trio im November 1961 durch Europa tourte, da standen neben Stücken des Klarinettisten und Bandleaders auch solche einer völlig unbekannten jungen Frau auf dem Programm. Pianist Paul Bley hatte sie einige Jahre zuvor als Zigarettenverkäuferin im New Yorker Jazzclub Birdland kennen gelernt und dazu animiert, Stücke für ihn zu schreiben. Ihr Name: Carla Borg. Den Nachnamen Bley, den die 1936 in Oakland, Kalifornien, als Spross einer schwedischstämmigen Familie geborenen Musikerin durch ihre Heirat mit Paul Bley erwarb, behielt sie lebenslang bei, auch wenn die Verbindung nur ein paar Jahre hielt. — Auf der Bildfläche der (an fortschrittlichen Klängen interessierten) Öffentlichkeit erschien Carla Bley erst Mitte der 1960er Jahre, mit ihrem damaligen Partner, dem in St. Pölten aufgewachsenen, 1962 in die USA ausgewanderten Trompeter Michael Mantler. Die beiden zählten zu den Mitbegründern der Jazz Composers› Guild, eines kooperativen Zusammenschlusses der damals jungen, wilden New Yorker Free-Jazz-Avantgardisten, und initiierten in der Folge das Jazz Composers› Orchestra. Als Komponistin wurde Carla Bley auch weiterhin vorrangig wahrgenommen, auch wenn sie im Rahmen der LP «Jazz Realities» von 1966 (u. a. mit Michael Mantler und Sopransaxofonist Steve Lacy) erstmals als Pianistin zu hören war. — Nach der Aufnahme ihrer ersten großformatigen Komposition «A Genuine Tong Funeral» 1967 durch Gary Burton, einer «dunklen Oper ohne Worte», folgte ab 1968 die drei Jahre währende Arbeit an ihrem Mammut-Opus «Escalator Over The Hill». Obwohl immer wieder als Quasi-Oper bezeichnet, handelte es sich dabei im Grunde um eine nicht-lineare musikalische Szenenabfolge rund um einige kuriose Charaktere wie Calliope Bill in einem indischen Hotel, geschrieben auf Texte von Paul Haines, aufgenommen mit Jazz-Prominenz von Trompeter Don Cherry bis Gitarrist John McLaughlin und Pop- und Rockstars wie Linda Ronstadt und Jack Bruce. Musikalisch gab sich Bley eklektisch: Einflüsse von Kurt Weills Theatermusik standen neben solchen aus klassischer indischer Musik, Free Jazz neben Rock. 1972 als 3-LP-Set veröffentlicht, sollte «Escalator Over The Hill» erst 1997, im Rahmen der Musiktriennale Köln, seine Uraufführung erleben. — In der Folge festigte Carla Bley ihren Ruf als originelle, gewitzte Komponistin mit Alben wie «Tropic Appetites» (1974), «Dinner Music» (1977) und «Musique Mecanique» (1977). Ab Ende der 1980er Jahre war E-Bassist Steve Swallow Bleys Begleiter im Leben wie in so gut wie allen Projekten und Aufnahmen, von den intimen «Duets» (1988) bis hin zur 18-köpfigen «Very Big Carla Bley Band» (1991), in der auch der Kärntner Altsaxofonist Wolfgang Puschnig – auch er lange Jahre den Bands von Bley verbunden – zu den Solisten zählte.
Eine weitere wichtige Verbindung Carla Bleys war jene zu Bassist Charlie Haden, für dessen Liberation Music Orchestra sie vom Debüt (1969) an bis hin zum letzten Opus «Time/Life» (veröffentlicht 2016, zwei Jahre nach Hadens Tod) den Großteil der Musik komponierte bzw. arrangierte. Musikalischer Witz und politische Haltung, das ging bei Carla Bley Hand in Hand, ohne sich damit in der Aussage einschränken zu lassen, ohne ihrem Werk den Anspruch auf Offenheit, Vieldeutigkeit zu nehmen. — 2018 wurde bei ihr ein Gehirntumor diagnostiziert, 2019 war sie zum letzten Mal auf Europa-Tournee und nahm ihr finales Album «Life Goes On» auf, im Trio mit Steve Swallow und Tenorsaxofonist Andy Sheppard. Die titelgebende Suite hat Carla Bley in folgende Sätze unterteilt: «Life Goes On» / «On» / «And On» / «And Then One Day». — Am 17. Oktober 2023 war dieser Tag gekommen: Carla Bley starb 87-jährig in Willow im US-Bundesstaat New York an den Folgen ihrer Krebserkrankung. Mit ihr trat eine Frau von der Bühne ab, deren Ausstrahlung als Komponistin und als weibliche Pionierfigur, als Role Model im männerdominierten Avantgarde-Jazz kaum überschätzt werden kann.
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