06.12.2023 – News – Focus Online – Andreas Umland — – Details
Andreas Umland
Ein Sieg der Ukraine auf dem Schlachtfeld wird, wenn überhaupt, nur ein Teilsieg sein. Denn die Risse im internationalen System, die Russland inzwischen verursacht hat, werden bleiben. In vier Bereichen hat Putin längst gewonnen. — Heute besteht das Hauptziel Kiews und seiner Verbündeten gegenüber Russland darin, die territoriale Integrität der Ukraine vollständig wiederherzustellen. Doch selbst ein solcher vollständige ukrainischer Sieg auf dem Schlachtfeld kann für die Welt kein Grund zum Feiern sein. Er dürfte westliche und andere Politiker kaum mit Stolz erfüllen. — 1. Sanktionen als stumpfes Schwert — Erstens wird ein zufriedenstellendes Ende des Krieges selbst hauptsächlich Ergebnis militärischer Anstrengungen Kiews sein. Ein solcher ukrainischer Sieg wird die peinliche Geschichte westlicher Sanktionen gegen Russland und ihre magere Wirkung nicht ungeschehen machen. Zwar sind die Sanktionen beispiellos, wirken sich bereits auf die russische Wirtschaft aus und haben den Angriff des Kremls behindert. Dennoch veränderten die Wirtschaftssanktionen den Gesamtverlauf des Krieges nur zu einem geringen Teil. — 2. Seltsame Rabatte auf die eigene Sicherheit — Zweitens hat sich Europa seit Beginn des Krieges von einer Sicherung seiner eigenen vitalen Interessen auf dem Territorium der Ukraine enthalten. Die Nato, die EU und ihre Mitgliedsstaaten verhalten sich seit dem 24. Februar 2022 auch weiterhin kleinlaut. Und das, obwohl der Krieg ihre eigenen Sicherheitsbelange tangiert und sie die Mittel hätten, diese Risiken einzudämmen
Seit mehr als 600 Tagen fliegt Russland regelmäßig unbemannte Flugkörper mit Sprengköpfen in der Nähe ukrainischer Atomkraftwerke und manchmal auch darüber. Doch außer der Ukraine hat bisher kein europäisches Land versucht, diese gefährliche Praxis zu unterbinden. Die Beschädigung eines Nuklearkraftwerks wäre nicht nur ein Problem für die Ukraine, wie der Fall Tschernobyl 1986 zeigte. — Europäische Entscheidungsträger halten sich akribisch an Moskaus Botschaft — In den letzten Monaten wurden ukrainische Getreidelager und -terminals gezielt von russischen Drohnen und Raketen angegriffen und teilweise zerstört. Diese Terroroperationen haben wirtschaftliche und humanitäre Auswirkungen weit über die Grenzen der Ukraine hinaus. Bislang hat jedoch kein westliches oder anderes potentes Land seine Flugabwehrkapazitäten eingesetzt, um russische unbemannte Flugkörper abzuschießen, die auf die ukrainische Lebensmittelinfrastruktur zusteuern. — 3. Unterminierte internationale Organisationen — Drittens wurde Russland zwar aus der G8 ausgeschlossen, die nun wieder zur G7 geworden ist. Es hat auch den Europarat und einige andere internationale Strukturen verlassen. Die Russische Föderation ist jedoch weiterhin Teilnehmerin der Uno, OSZE, G20, BRICS usw. — Schlimmer noch, Russland ist nach wie vor ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat, wo es von der UdSSR ein Vetorecht geerbt hat. Moskau ist auch einer der Gründer und Depositaren des Atomwaffensperrvertrags von 1968 (NPT). In diesem Vertrag ist Russland einer der fünf offiziell anerkannten Kernwaffenstaaten. Moskau hat diese beiden Privilegien aktiv dazu genutzt, seine expansionistischen und mörderischen Ziele in der Ukraine zu erreichen. — Selbst wenn die Ukraine letztendlich nichts von ihrem Territorium und ihrer Souveränität verliert, wäre dies kaum ausreichend. Russland würde womöglich für sein Fehlverhalten nur teilweise bestraft werden und seine privilegierte Stellung im internationalen System behalten. Das dürfte nichts Gutes für die Zukunft der Weltordnung verheißen. — 4. Unkorrigierte und ungesühnte Verbrechen — Nicht zuletzt wäre die Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine alleine insofern kein wirklicher Sieg, als damit weder den Interessen der Ukraine noch denen des Völkerrechts in vollem Umfang gedient wäre. Verschiedene russische Ungerechtigkeiten und Verbrechen würden womöglich ungesühnt bleiben. — Eines der abscheulichsten Vergehen Russlands ist die massenhafte Verschleppung und Deportation ukrainischer Kinder. Es gibt eine konzertierte Kampagne Moskaus, um Hunderttausende von Minderjährigen aus der Ukraine – ob mit oder ohne ihre Erziehungsberechtigten – unter ständige russische Kontrolle, Vormundschaft und Gehirnwäsche zu bringen. — Zu weiteren langfristigen Problemen, die durch einen bloßen Sieg der Ukraine auf dem Schlachtfeld nicht gelöst werden können, gehören die Rückkehr ukrainischer Kriegsgefangener und deportierter Zivilisten aus Russland in die Ukraine sowie die strafrechtliche Verfolgung Tausender Kriegsverbrecher. Bislang ist unklar, wie die umfangreichen Reparationszahlungen Russlands an die Ukraine erfolgen sollen. — Schlussfolgerungen: Der Sieg der Ukraine auf dem Schlachtfeld wird nur ein Teilsieg sein — Der Sieg der Ukraine auf dem Schlachtfeld wird nur ein Teilsieg sein. Die Risse im internationalen System werden auch nach vollständiger Wiederherstellung der ukrainischen Grenzen bestehen bleiben. Vor diesem Hintergrund überrascht das Zögern der westlichen Waffenhilfe für die Ukraine. In Anbetracht der verschiedenen politischen, rechtlichen und humanitären Probleme, die nicht im Gefecht gelöst werden können, sollte zumindest die militärische Unterstützung uneingeschränkt sein. — Russland hat mit seinem rücksichtslosen Verhalten die Stabilität der europäischen Sicherheitsordnung, Kohärenz der internationalen Staatensystems und Macht der westlichen Staatengemeinschaft geschwächt. Je länger der Krieg andauert, desto größer wird der Schaden sein.
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