03.02.2024 – le week-end – Ö1 – Elke Tschaikner und Christian Scheib — – Details
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Albion
«en albion» steht auf dem Cover der Platte, in diesem Fall einer 2021 veröffentlichten CD, und man könnte ins Rätseln geraten. Hat das Wort «albion» etwas mit dem lateinischen «albus», also «weiß», zu tun? Oder doch eher, wie manche Sprachforscher dann meinten, mit dem keltischen Wortstamm «albio», der für «Welt» oder «Land» steht? Das könnte nämlich europaweit Spuren hinterlassen haben, von den Alpen über die Albaner zu Alba und eben dem keltisch-englischen «Albion». Und dass wir damit auf der richtigen Fährte sind, macht der Untertitel der Platte klar: «Medieval Polyphony in England». — Dreistimmige Musik aus dem England des 14. Jahrhunderts bietet ein faszinierendes, klangliches Mysterium, in das uns das wunderbare Huelgas Ensemble mit seinem Chef Paul van Nevel eintauchen lässt. Aber plötzlich erinnert uns diese Vokalmusik mit ihren vielen Terzen und Sexten und parallel geführten Stimmverläufen an etwas, das geographisch ganz woanders, nämlich viel näher liegt. Das Almquartett Bad Goisern antwortet auf die anonyme, altenglische Musik über den Meerstern Maria mit einem ebenso anonym überlieferten «Andachtsjodler». Man könnte fast beginnen, abstruse, keltische Theorien aufzustellen, von wegen keltisch und «albion» und gemeinsame Vergangenheiten der Menschen im ja tatsächlich historisch keltischen Salzkammergut und im keltischen England oder Schottland. — Die Musik aus dem England dieser Jahrhunderte ist, ganz im Gegensatz zum europäischen Kontinent, noch nicht von namentlich bekannten Autoren verfasst worden. Während sich am Kontinent längst berühmt gewordene Komponisten etabliert hatten, wurde in England noch anonym für die höhere Ehre komponiert. Selbstverständlich sollte sich das bald ändern und rund um 1600 – das ist dann auch schon die Shakespeare-Zeit – hatten sich am Hof längst Komponistenstars etabliert. John Dowland und William Byrd sind die wohl damals ebenso wie heute bekanntesten Komponisten. Nur war in England in der Zwischenzeit ein ganz anderes, viel entscheidenderes als nur kompositorisches Problem aufgetaucht: Die Herrschaft der römisch-katholischen Kirche hatte durch so unterschiedliche Persönlichkeiten wie King Henry VIII und Martin Luther ernsthaft an Macht verloren. Es tobt europaweit der wahnsinnige 30jährige Krieg; wie Jahrhunderte vorher zur Zeit der Musik von «en albion» der sogenannte Hundertjährige Krieg zwischen England und Frankreich getobt hatte. Und jene englischen Komponisten, die nun rund um 1600 in England im alten, katholischen Bekenntnis bleiben wollten, bekommen mehr und mehr Probleme. Viele flüchten, natürlich ist Rom ein logisches Emigrations-Ziel, aber auch die Niederlande sind oftmals Rettungsort. Einige Wenige wagen es, zu bleiben, wie auch der unangefochtene Star unter den damaligen, britischen Komponisten, William Byrd. Und er bekommt Post von einem Kollegen. Der Komponist Philippe de Monte, übrigens Hofkomponist unter Kaiser Maximilian II in Wien, widmet ihm die achtstimmige Motette «Super flumina Babylonis», an den Flüssen von Babylon saßen wir und weinten. Das ist eindeutig, mit diesem Bibelvers identifizieren sich auch die unterdrückten Katholiken Englands. Philippe de Monte hätte auch fragen können, wie geht es Euch Katholiken denn eigentlich in England. William Byrd antwortet 1584 umgehend und ebenfalls achtstimmig mit den anschließenden Verszeilen derselben Bibelstelle. Wiederum in anderen Worten gesagt: Danke der Nachfrage, wir kommen zurecht und schreiben immer noch die schönste aller denkbaren und singbaren Musiken. Aber William Byrd macht zugleich auch kein Geheimnis aus der misslichen Lage. «Quomodo cantabimus»: Immerhin findet sich in diesem von ihm vertonten Textabschnitt auch die Zeile «How shall we sing the Lord›s song in a strange land».
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