Laura Nyro
Zu viele harmonische Brüche, zu viele Asymmetrien. Zu viel Text, zu viele Rätsel, zu viel Ambivalenzen, zu viel Weiblichkeit? Leute, denen so viel nicht too much ist, würdigen die Ausnahmekünstlerin Laura Nyro zum Fünfundsiebzigsten — «Offensichtlich macht Laura Nyro Angst. Manchen Menschen zumindest. Damals wie heute. Zu Lebzeiten und posthum.» Sagt Ebba Durstewitz, Mitgründerin der famosen Band Ja König Ja. Am 18. Oktober wäre Laura Nyro 75 Jahre alt geworden, wäre sie nicht schon mit neunundvierzig gestorben. Und warum macht Laura Nyro Menschen Angst, Ebba Durstewitz?
«Es muss sich – nicht sehr originell – wieder einmal um die Angst vor dem Unbekannten und Nicht-Einzuordnenden handeln, und darum, dass hier jemand viel zu viel von allem war: zu viel Musik, Soul, R&B, Jazz, Folk, Gospel, Debussy, Kirchenmusik, Ravel und Broadway Show Tunes. Zu viele harmonische und rhythmische Brüche, zu viele Asymmetrien. Zu viel Text mit zu vielen Rätseln und Mysterien zwischen zu viel Himmel und Hölle. Zu viel Überirdisches, zu viel Jenseitiges, zu viel Andersartigkeit, zu viel Eigenständigkeit, und ja, bestimmt auch zu viel Weiblichkeit. (…) Überall bei Nyro wimmelt es von Ambivalenzen und Paradoxa. Ihre Songs sind mal wie Würfel, die rund und sanft wie kleine Kugeln kullern, statt ungelenk über den Boden zu taumeln, und dann wieder wie Kugeln, die stolpern und anecken, statt geschmeidig über die Ebene zu gleiten. Siebenseitige, runde Würfel; eckig-gebogene Kugeln. Und all das kann im nächsten Moment als folgenreiches Geschoss auf einen zuzurasen. Zu viel. Natürlich macht das Angst. (Ebba Durstewitz in «These Girls – Ein Streifzug durch die feministische Musikgeschichte», Hrsg. Von Juliane Streich). Also sagen wir heute: Keine Angst vor Laura Nyro. 1969 stehen drei Nyro-Songs gleichzeitig in den US-Top-Ten, fast schon eine Beatlemania-Quote. Allerdings nicht in ihren eigenen, asymmetrischen, jenseitigen Fassungen, sondern in diesseitigen, symmetrischen, mitunter breitbeinigen von weißen Rockbands wie Blood, Sweat & Tears und Three Dog Night, oder von der Schwarzen Showgroup Fifth Dimension. — Trotz dieser Erfolge kommt Laura Nyro nicht aus dem Schatten ähnlich begabter Kolleg:innen heraus, sagen wir Carole King oder Burt Bacharach – beide jüdisch wie Nyro, by the way. Das muss sich ändern. Deshalb würdigen wir heute eine musician›s musician, eine Frau mit Langzeitwirkung. Ebba Durstewitz: «Beeindruckend ist der Einfluss, den Nyro auf andere Künstler*innen hatte (und bis heute hat), wie – unter anderen und in keiner bestimmten Reihenfolge – auf Bob Dylan, Barry Manilow, Ricki Lee Jones, Joni Mitchell, Phoebe Snow, Patti Smith oder Jackson Browne. Sagenumwoben ist die Bedeutung, die ihr Todd Rundgren im Hinblick auf den Verlauf seiner eigenen musikalischen Karriere beimisst. Er habe, nachdem er sie zum ersten Mal live erlebt habe, seinen gesamten Stil verändert. Carole King wiederum ließ sich von Laura Nyro dazu inspirieren, von der Songwriterin zur Singer-Songwriterin zu werden und die eigenen Stücke fortan selbst, am Piano sitzend, vorzutragen. Der Gesangsstil einer Kate Bush ist für viele ohne Laura Nyro nicht denkbar. Suzanne Vega, Alice Cooper, Tori Amos, Bette Midler, Elton John, Stevie Wonder, Cindy Lauper, Elvis Costello – alle nennen Laura Nyro als Einfluss, und Lady Gaga ist angeblich kurz davor, Nyro in einem Biopic zu verkörpern.»
Die (Love-)Story von Laura & Todd erzählt Detlef Diederichsen, Gründer der Zimmermänner und Nyro-Aficionado. Knarf Rellöm berichtet, wie er wiederum durch Diederichsen den Jüngeren (D.D,d.J) seinerseits zum Laura-Fan wurde und wie sich das in seinen Songs niederschlägt. Und nein, man muss nicht über fünfzig sein, um Laura Nyro als Soulstimme und Gay Icon zu verehren. Darüber redet eine im 21.Jahrhundert geborene Berliner Musikerin mit popgeschichtsträchtigem Namen: Ella Mae Hengst.
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