14.12.2022 – Jazz – WDR 3 – Odilo Clausnitzer — – Details
Matthew Halsall
Der Wegbereiter war John Coltrane, der erste große Fackelträger Pharoah Sanders: In den späten 1960er-Jahren hatte der Spiritual Jazz seine Blütezeit. Heute knüpfen Musiker wie Isaiah Collier und Matthew Halsall daran an, mal meditativ, mal ekstatisch.
Als der Spiritual Jazz in den 1960er-Jahren begann, hieß er noch gar nicht so. Der Begriff wurde im Nachhinein geprägt für eine afroamerikanische Musik, in der viele Linien zusammenliefen: die Artikulation politischen Freiheitsstrebens, religiöse Sinnsuche, das Bedürfnis nach kultureller Selbstvergewisserung und nicht zuletzt der Aufbruch in musikalisches Neuland. Exemplarisch fanden diese Einflüsse zusammen in der Musik des Saxofonisten Pharoah Sanders. Sie vereinte hymnischen Free Jazz mit griffigen Melodien und einfacher, modaler Harmonik; dazu kam die Aufnahme außereuropäischer Einflüsse. Damit gelang ihr das Kunststück, radikalen Furor und fast harmlose Eingängigkeit unter einen Hut zu bringen. Entsprechend reicht das ganze Spektrum dessen, was heute unter dem Schlagwort «Spiritual Jazz» zusammengefasst wird, von free bis funky. Wieder entdeckt wurde diese Musik nicht zuletzt durch DJs und Hip Hop-Künstler, die alte Platten sampelten. Plötzlich stießen damit Künstler wie Alice Coltrane und Gary Bartz auf neues Interesse. Heute knüpfen junge Musiker wie die Saxofonisten Kamasi Washington und Isaiah Collier explizit an die Sounds der 60-er und 70-er Jahre an und finden damit Fans über die eingeschworene Jazz-Community hinaus. Andere dagegen, wie Saxofonist Immanuel Wilkins, lehnen den Begriff «Spiritual Jazz» als einengendes Label ab. Retro oder neues Ding, Vermarktungsstrategie oder authentische musikalische Sinnsuche – wie ist die neue Spiritual Jazz-Welle künstlerisch einzuordnen? — —
SK-try202*hehi