18.10.2010 – Take 5 – MDR Kultur – —
❍
AfroCubism
CD-Empfehlungen | MDR FIGARO | 18.10.2010 |
Take 5
Jeden Montag stellt Ihnen MDR FIGARO Neuerscheinungen vom Musikmarkt vor. Den fünf CD-Empfehlungen aus der klassischen Musik folgen fünf weitere CD-Tipps aus den Bereichen Jazz, Pop, Weltmusik und Chanson – zu hören montags zwischen 18:05 und 19:00 Uhr und in der Wiederholung sonnabends zwischen 12:05 und 13:00 Uhr.
Treffen der Antipoden
Franz Liszt – «Sonata B minor», Robert Schumann – »Fantasie C major»
Lars Vogt, KlavierLabel: Berlin Classics (0300064 BC)Statt wie viele andere im Schumann-Jahr ein entsprechendes Schumann-Rezital vorzulegen, geht der Pianist Lars Vogt ganz andere Wege. Er stellt Schumann seinem großen Antipoden und gleichzeitigen Bewunderer Franz Liszt gegenüber. Die Bewunderung und der Respekt beruhten übrigens auf Gegenseitigkeit. Und so hat jeder dem anderen ein Werk gewidmet – Schumann seine große C-Dur-Fantasie und Liszt die ebenso üppig dimensionierte Klaviersonate h-Moll. So unterschiedlich die Komponisten sind, so verschieden sind auch ihre Werke: Der Spannungsbogen dieser CD reicht vom romantisch-hochvirtuosen und dramatischen Franz Liszt bis zum zerrissenen, unsteten Schumann. Gute Pianisten müssen wie Schauspieler sein, sie müssen sich in Charaktere hineinversetzen können. Lars Vogt beweist hier, dass er dies glänzend versteht.
Katholisch musizierender Bach-Sohn
Johann Christian Bach – \»Mailänder Vesperpsalmen\»
Süddeutscher Kammerchor Concerto KölnLeitung: Gerhard JenemannLabel: Carus (83.347)Dass sein jüngster Sohn auch einmal katholische Kirchenmusik komponieren würde, hätte sich der alte Johann Sebastian Bach sicher nicht gedacht. Und doch tat Johann Christian Bach ebendies in der Ausbildung beim Komponistenmacher Padre Antonio Martini, der später auch Mozart unterrichten sollte. Bach stand damals in den Diensten des Mailänder Grafen Litta, der ihm das Studium bei Martini finanzierte. Während aber Christian Bachs spätere Londoner Jahre auf CD recht gut dokumentiert sind, ist seine Mailänder Zeit noch ein relativ großer weißer Fleck. Umso verdienstvoller, dass Gerhard Jenemann mit seinem Süddeutschen Kammerchor und einem hochkarätigen Solistenensemble sowie dem famosen Concerto Köln einen Teil der Mailänder Kirchenmusik Bachs aufgenommen hat. Gefällige Werke, originell gesetzt und mit schönen, weiten Melodiebögen sowie einer konzertierenden Orgel – dabei relativ klein besetzt und schon ganz im klassischen Stil. Chor und Orchester dieser Aufnahme machen diese Einspielungen zu einer wirklich gelungenen Entdeckung – feingliedrig, transparent, hochdiszipliniert, sauber, ohne Übertreibungen und mit großer Erfahrung musiziert.
Das Richtige für kühle Novembertage
Jordi Savall – \»The Celtic Viol II\»
Jordi Savall, GambeAndrew Lawrence-King, HakenharfeFrank McGuire, BodhranLabel: Aliavox (AVSA 9878)Das Album bewegt sich einmal mehr auf dem Terrain zwischen traditioneller Volksmusik Schottlands und Irlands und der überlieferten, schriftlichen Musiktradition. Es sind besonders die Vertreter der sogenannten \»Alten Musik\», die zunehmend die Schranken zwischen E- und U-Musik einreißen, bzw. in diesem Falle die zwischen Folklore und historisch Verifiziertem. Jordi Savall stellt auf diesem Album alte Tanzweisen in eine Reihe mit wundervollen Tunes, wie sie nur auf den grünen Hügeln Schottlands und Irlands entstehen konnten. Die meisten dieser Musiken stammen aus dem frühen, teilweise auch mittleren 18. Jahrhundert, einer Zeit, in der die schottische und irische Nationalkultur grausam unterdrückt wurde und die Folklore teilweise verboten wurde. Jordi Savall fühlt sich wunderbar in die Melancholie der nebligen Küsten, die fast verzweifelte Ausgelassenheit der Reels und Jigs ein – gespielt auf der Gambe, also der \»Viol\», jenem Instrument, das gerade auf den britischen Inseln ein besonders hohes Ansehen genoss. Bestechend auch Harfenexperte Andrew Lawrence-King und Frank Mcgauire mit der Bodhran, der irische Rahmentrommel.
Diese Aufnahme hat das Zeug zum Referenzstatus.
Rachmaninov – Klavierkonzert Nr. 3 und 4
Leif Ove Andsnes, KlavierLondon Symphony OrchestraLeitung: Antonio PappanoLabel: EMI (6405162)Rachmaninov zu spielen ist bisweilen anstrengend, fordert nicht nur die ganze Hand des Pianisten, sondern eigentlich anderthalb Hände – an jedem Arm! Insofern sei die finstere Miene auf dem Plattencover dieses Albums auf die Anstrengung geschoben. Leif Ove Andsnes spielt so, wie er vom Cover schaut, herb-männlich – nicht das schlechteste für die üppige Musik des Spätromantikers Rachmaninov. Die Klavierkonzerte 3 und 4 hat Andsnes eingespielt, vielschichtig, vielfarbig. Der Flügel singt und donnert bei ihm, mal rasen die Finger nur so dahin, dann schwelgt er tatsächlich in den Farben Rachmaninovscher Harmonien oder verklingt im Nirgendwo. Großartige Musik, hervorragend interpretiert von einem großartigen Pianisten und dem London Symphony Orchestra, das sich als gleichberechtigter Partner zeigt, als wären die Musiker auch nur ein Instrument unter der Leitung von Antonio Pappano.
Das Arte Ensemble besteht aus Mitgliedern der NDR-Radiophilharmonie
Adam Valentin Volckmar – \»Quartets und Trios\»
Arte EnsembleLabel: CPO (777460-2)Organisten werden Adam Valentin Volckmar vielleicht kennen, den Sohn eines Zinngießers aus dem Schmalkaldischen, der es später zum Stadtorganisten in Rinteln an der Weser brachte und dieses Amt allem Anschein nach sehr achtbar versah. Seine Kammermusik, jetzt vom Arte Ensemble in Auszügen beim Label cpo vorgelegt, zeigt Volckmar als einen versierten, durchaus originellen und feinsinnigen Komponisten, der nicht nur mit der Orgel umzugehen wusste, sondern auch die Klang- und Spieleigenheiten anderer Instrumente genau kannte. Und so zeigen die hier vorgelegten Quartette und Trios eine hohe Beherrschung des Satzes, eine sehr individuelle Behandlung jedes Instruments, einen ausgeprägten Sinn für musikalische Dramatik und Klangschönheit. Das Arte Ensemble zeigt diesen doch ziemlich unbekannten Meister als einen zu Unrecht in der Versenkung verschwundenen Komponisten.
Ein musikalisches Tagebuch
Quadro Nuevo – \»Grand Voyage\»
Label: Fine Music (Fm151-2)\»Grand Voyage\» ist ein musikalisches Tagebuch, das an viele Orte führt. Was sie eint ist der Fakt das Quadro Nuevo dort schon gespielt haben. Die Musiker von Quadro Nuevo legen hier keine erneute bitter-süße Tango-CD, sondern das Album einer Weltreise vor. Alle Stücke des neuen Albums sind unterwegs entstanden, sie reflektieren die kindliche Freude am Entdecken und am Woanders sein. Der Sound aus Blasinstrumenten, Bandoneon, Gitarre, Kontrabass und Harfe, ist eindeutig europäisch verortet. Fein dosierte Exotik ist das Geheimnis von Quadro Nuevo. Ihr bisher persönlichstes Album besteht überwiegend aus Eigenkompositionen und verbeugt sich vor Kulturen zwischen Kuala Lumpur, Korsika und Siebenbürgen. Quadro Nuevo gastiert am 12. November 2010 bei den Jazztagen in Dresden.
Jeder Song sitzt hier wie ein Faustschlag.
Lydia Daher mit Band – \»Flüchtige Bürger\»
Label: Trikont (804112)Das Münchner Label Trikont publiziert seit fast 40 Jahren Perlen deutschsprachiger Popmusik. Die Leute dort haben ein feines Gespür für progressive populäre Musik mit Fokus auf dem deutschen Süden. Hans Söllner, Attwenger oder LaBrassbanda sind die Heroen im Katalog des Labels aber immer wieder kommen auch neue Namen dazu. So vor drei Jahren die Sängerin Lydia Daher. Die Augsburger Poetry-Slamerin hat nicht nur Gitarre und Laptop auf der Bühne dabei, sondern eine kleine feine Band. Schlagzeug und Bass werden da von echten Einwanderersöhnen gespielt. Die Tochter deutsch-libanesischer Eltern schreibt nach wie vor messerscharfe Texte, Sprachwitz und Lakonie machen diese junge Frau aus Augsburg auch zur Entdeckung. Selten hat man so viel Ironie gehört wie bei Lydia Daher.
Afrika trifft Kuba
Afrocubism – \»Afrocubism\»
Label: World Circuit (954462)Mali und Kuba feiern auf diesem Album eine musikalische Hochzeit. 14 harmonische Titel versetzen westafrikanische Rhythmen mit karibischer Sonne. Zu kubanischen Gitarren gesellen sich die 21-saitige Harfenlaute Kora und die Bogenharfe N›goni. Zu Bläsern aus Havanna gruppiert sich ein flirrendes Balafon. Diese Aufnahmen haben etwas sympathisch Unfertiges. Afrocubism ist ein Gipfeltreffen großer Virtuosen wie Toumani Diabaté und Bassekou Kouyate aus Mali mit den Kubanern der Grupo Patria und Eliades Ochoa. Man kann Afrocubism übrigens live erleben, beim bislang einzigen Konzert in Deutschland am 28. November 2010 im Berliner Haus der Kulturen der Welt.
Ein \»Fräuleinwunder\» aus Kanada
Nikki Yanofsky – \»Nikki\»
Label: Universal (0602527390635)Ein \»Fräuleinwunder\» im Grenzland von Jazz und Pop, das ist die 16-jährige Kanadierin Nikki Yanofsky. Sie legt eine Karriere wie aus dem Bilderbuch vor. Es macht fast Angst, wenn eine so junge Frau routiniert die Jazzstandards beherrscht. Ein bisschen viel Pathos liegt in einigen Liedern, deren Botschaften zuweilen zu schwer sind für so ein junges Leben. Doch ihr großes Vorbild Ella Fitzgerald stand ja auch schon mit 17 auf der Bühne! Um die glänzend vermarktete Kanadierin herum agiert ein engmaschiges Netz aus Koautoren, Komponisten, Arrangeuren und Musikern, die ihre CD zu einem zwar wenig innovativen aber durchaus warmen Longplay-Debüt gemacht haben. Dies ist auch kein Wunder, sitzen doch mit dem Produzenten Phil Ramone und dem Songwriter Jesse Harries gestandene Grammy-Gewinner im Boot der jungen Disseuse.
\»Dust Lane\» bringt starke Farben in den grauen Herbst.
Yann Tiersen – \»Dust Lane\»
Label: Mute Records (9090642)Yann Tiersen dachte sich wohl: Schluss mit niedlich, mit Filmmusiken à la \»Amelie\» und rein in eine dunkle, fast mystische Rockavantgardewelt, die noch Mut zu lasziven Sieben-Minütern hat. Langsam steigert sich diese neue Platte des Franzosen, von Song zu Song und in den Liedern selbst, die alles andere als einfach konstruiert sind. \»Dust Lane\» (\»Staubiger Weg\») entstand nicht in der Großstadt sondern auf einer winzigen Insel vor der wilden bretonischen Küste. Für die neuen Songs hat Tiersen den Retro-Synthesizerklang seiner Jugend wiederbelebt, treibende Gitarren eingebaut und ein paar singende Gastmusiker eingeladen. Und das alles, obwohl der Bretone nach wie vor gern als Multiinstrumentalist und Einmannorchester unterwegs ist. Spirituelle Grenzerfahrungen sind das große Thema auf der Scheibe, dazu gehört auch Todesnähe, denn Yann Tiersen verlor vor kurzem seine Mutter. Traurig klingen die neuen Songs jedoch nicht, eher verstörend. Yann Tiersen stellt sein neues Album übrigens am 30. November 2010 im \»Werk 2\» in Leipzig vor.
Zuletzt aktualisiert: 20. Oktober 2010, 10:44 Uhr
Ein korrektes Passwort ist erforderlich.
Option: last radio poets – member-one | Registrierung/Login
SK-xxddhehi