28.07.2023 – News – Berliner Zeitung – Michael Maier — – Details
Kreml Nacht
Tatsächlich ist die Lage für Russland alles andere als erfreulich: Nach Angaben der russischen Zentralbank wurden seit Beginn der umfassenden Invasion der Ukraine im Jahr 2022 rekordverdächtige 253 Milliarden US-Dollar aus Russland abgezogen – eine massive Kapitalflucht. — Der Beamte: «Ein Versuch, Russland zu isolieren und bis zur Demütigung oder zum Zusammenbruch zu lähmen, würde Verhandlungen nahezu unmöglich machen – wir sehen dies bereits an der Zurückhaltung der Moskauer Beamten.» Stattdessen hätten die Amerikaner betont, «dass die USA Russland brauchen und auch weiterhin brauchen werden, das stark genug ist, um an seiner Peripherie Stabilität zu schaffen». Die USA wollten «ein Russland mit strategischer Autonomie, damit die USA ihre diplomatischen Möglichkeiten in Zentralasien fördern können». Die USA müssten «erkennen, dass ein totaler Sieg in Europa unseren Interessen in anderen Teilen der Welt schaden könnte». Ein starkes Russland sei «nicht unbedingt eine schlechte Sache». — Doch die geheimen Gespräche seien auch im Interesse der Ukraine, argumentiert Trita Parsi, der schwedisch-iranische Leiter des amerikanischen Quincy Instituts, der sich in einem Buch mit der erfolgreichen Geheimdiplomatie von Präsident Barack Obama mit dem Iran befasst hatte. Solche Gespräche seien keine Verhandlungen, die schon in Richtung einer Friedenslösung gingen. Die Verhandler haben kein Mandat und können nichts entscheiden. Sie können jedoch erfahren, wo der Feind gedanklich steht – und dies sei auch von immensem Wert für die Ukraine, «insbesondere weil die Ukrainer derzeit selbst nicht in der Lage sind, solche Gespräche zu führen». — Auch der US-Gesprächspartner der Moscow Times sieht die geheimen Verhandlungen nicht gegen die Ukraine gerichtet. Er sagte: «Das bedeutet nicht, dass wir die Ukraine oder Europa im Stich lassen. Vielmehr wollen wir Wege finden, die Unabhängigkeit der Ukraine zu garantieren und gleichzeitig Russland wieder zu einem kreativeren Akteur in der europäischen Sicherheit zu machen.» Er betonte, dass Russland und die Ukraine früher oder später, egal wie viel Arbeit die USA jetzt leisten würden, gemeinsam an den Verhandlungstisch setzen werden müssen. — (…)
Offenbar laufen seit einiger Zeit geheime diplomatische Gespräche zwischen ehemaligen hochrangigen amerikanischen Sicherheitsbeamten und hochrangigen Mitgliedern des Kremls. Das bestätigte ein ehemaliger amerikanischer Beamter, der direkt an den Gesprächen beteiligt war, der Moscow Times. — Anfang Juli berichtete NBC erstmals von sogenannten «Back-Channel-Gesprächen» zwischen den USA und Russland. Ehemalige amerikanische Beamte haben demnach einen diskreten Austausch mit dem Kreml begonnen, um den Grundstein für Verhandlungen zur Beendigung des Kriegs in der Ukraine zu legen. Die Amerikaner sollen laut NBC geheime Gespräche mit prominenten Russen geführt haben, von denen angenommen wird, dass sie dem Kreml nahe stehen. NBC gibt an, mit einem halben Dutzend Personen gesprochen zu haben, die von den Gesprächen wüssten. — (…)
Die Amerikaner sehen ein grundsätzliches Problem bei ihren russischen Kollegen, so der Informant der Moscow Times: «In der russischen Diplomatie ist jetzt alles miteinander verbunden, alles dreht sich um den Schauplatz des Krieges, was es unmöglich macht, produktive Formen der Diplomatie zu betreiben.» Das Problem liege weniger bei der russischen Elite insgesamt als vielmehr bei Präsident Wladimir Putin im Besonderen, erklärte er. «Putin ist das größte Hindernis für jeden Fortschritt», sagte er. «Die US-Regierung hat mindestens einen Versuch unternommen, mit dem Kreml zu sprechen, aber Putin selbst lehnte ab.»
Aus diesem Grund, so argumentierte er, «sollte Washington damit beginnen, auf die russische Kriegsgegner-Elite zuzugehen und gemeinsam mit ihnen Fortschritte zu machen.» Wenn es in der Elite Unterstützung für einen anderen Führer gäbe, «wäre es nicht unmöglich, Putin zu stürzen», sagte er.
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