19.08.2023 – le week-end – Ö1 – Elke Tschaikner und Christian Scheib — – Details
New York City
Mit Musik von Lou Reed, Gustav Mahler, Miles Davis, Gil Scott-Heron, de la Soul, Henry Cowell, Morton Feldman und anderen
Es beginnt mit einer kleinen New Yorker Unterhaltung, und zwar einer am Telefon. Er sei zu Hause gewesen, als ihn das Klingeln aus dem Mittagsschlaf holte. Und dann ging ein bisschen «Gossip» los, wie Lou Reed es selbst nennt, «Did you hear who did what to whom», New Yorker Szenetratsch halt. Bis im allerletzten Moment, zwei Zeilen vor Schluss, plötzlich die Wahrheit an den Tag kommt. Ich ruf Dich an, ja, weil, hm, For I know this night will kill me, if I can›t be with you. Grade mal eineinhalb Minuten braucht Lou Reed in seinem Song-Kleinod, um verhohlene Sehnsucht dann doch noch auf den Punkt zu bringen, in einer «New York Telephone Conversation». — Was liegt bei einem New York Besuch näher, als mit einem Spaziergang am Broadway zu starten. Wie eine pulsierende Hauptschlagader durchzieht sie den Organismus Manhattan, verbindet Ober- und Unterstadt, Unterhaltung, Kommerz und Kunst. Prototypisch für diese New Yorker Schnittmenge ist George Gershwin. Konzertsaal, Straße, Jazzclub, Theater oder ein glamouröser Ball in einem der Luxushotels mit der Haute Volée, er ist überall gern zu Gast und gerne gesehener Gast. Und Gershwin formuliert das Gebot der Stunde. Wer nämlich in den 1920er Jahren «in» sein will, dem helfen vielleicht Geld oder Erfolg. Aber das Entscheidende ist der Rhythmus: «I got rhythm». — Das Erbe des New Yorkers George Gershwin auf seine Weise fortgesetzt hatte der Komponist Leonard Bernstein mit Bühnenstücken wie der «West Side Story», die übrigens ursprünglich East Side Story heißen sollte, die Geschichte von Romeo und Julia ins New York der 50er Jahre übertrug und auch am Broadway uraufgeführt wurde. Als Dirigent trug Leonard Bernstein zur Renaissance eines Komponisten bei, der die großen Erfolge seiner letzten Lebensjahre in New York feierte, nämlich Gustav Mahler. Wir blenden kurz zurück ins Jahr 1907. Mahler durchläuft schwierige Zeiten, beruflich wie privat, weiß auch um seinen krisenhaften Gesundheitszustand, hat aber einen Vertrag mit der Metropolitan Opera in New York unterzeichnet. Als er Wien Richtung New York verlässt, es war im Dezember des Jahres 1907, wird dieser Abschied zu einem gesellschaftlichen Ereignis. Am Wiener Westbahnhof winken neben gut zweihundert anderen Freunden und Bekannten auch Arnold Schönberg, Alban Berg, Anton Webern, Gustav Klimt, Bruno Walter und Alfred Roller. Die Auftritte Gustav Mahlers in New York sollten ihm nochmals wunderbare Erfolge bringen, privat schlitterte er ins nächste Fiasko. Der Liebhaber seiner Frau hatte einen Brief statt an sie gleich an Mahler selbst geschickt, Mahler ist total zerstört. Und: Er schreibt an seiner 10. Symphonie. Leonard Bernstein führt sie Jahrzehnte später mit den New York Phiharmonic auf. — Der Druckkochtopf New York hat in fast jedem Genre bemerkenswert seltsame Blüten hervorgebracht. An der Columbia University Uptown New York unterrichtete Henry Cowell. In Kalifornien geboren war er später polyglott unterwegs – er studierte in Berlin Musikwissenschaft bei Erich von Hornbostel, war der erste amerikanische Komponist, der in der Sowjetunion gastierte, das war 1929, unterrichtete dazwischen in Teheran und Madras, gründete mehrere Plattformen für neue Musik, unterrichtete in New York unter anderem John Cage. Und Henry Cowell erfand immer wieder seltsame neue Spieltechniken. Bela Bartok beispielsweise fragte Henry Cowell, ob er die von Cowell erfundenen Klaviercluster bitte auch verwenden dürfe. Der Gegenpol zu heftigen Klaviercluster war die Erfindung des luftig geisterhaften Spiels direkt auf den Klaviersaiten. Henry Cowell selbst ließ seine Hände gerne über die Saiten streichen und zauberte damit ein klingende Fee nach New York. Und sie sollte einiges Bewirken in den Köpfen jüngerer New Yorker Komponisten, diese «Banshee». — Davon verzaubert war dann lebenslang auch ein anderer Kalifornier, der in New York gelandet war, nämlich John Cage. Und von dem waren wiederum so viele weitere Komponisten und Künstlerinnen beeindruckt, dass sie – von Laurie Anderson bis Yoko Ono – gemeinsam ein Album produzierten, das dem Meister huldigt, unter anderem mit einer schlichten field recording Straßenszene, aufgenommen außerhalb von John Cages Wohnung, wohl auch als Hommage an Cages berühmtes Pausenstück.
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