08.09.2023 – News – FAZ Online – Wolf Biermann — – Details
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Biermann + Barbara Honigmann
Hinter ihrer ungeschnörkelt wahrhaftigen Alltagssprache verbirgt sich eine neu-alte Sachlichkeit, in der sich Melancholie, Humor und jüdischer Fatalismus begegnen. Laudatio für Barbara Honigmann zum Goethepreis. — Hochgeschätzte Damen und Herren, verehrte Freunde, Messieurs – dames! ich gratuliere der Madame Barbara Honigmann aus Strasbourg im Elsass zum Goethepreis. Und eine Nebenbeigratulation auch dem Jupiter Goethe zu dieser Preisträgerin. Ich gratuliere der Jury zu der Wahl, auch der Stadt Frankfurt, vor allem uns allen hier. Heute, in der historisch hochaufgeladenen Paulskirche Frankfurt am Main, dreht sich an diesem Montag, zum 274. Geburtstag Goethes, mal wieder das Literatur-Karussell der permanenten Vanity fair des Buchmarkts. — Und Goethes bissiger Kommentar: «Erst auf der Nadel wird›s interessant!»
Für die Goethe-Preisträgerin Barbara Honigmann, für die jüdische Barbara aus Ostberlin, alias Anna Süßkind, gilt das nicht. Diese Schriftstellerin interessiert uns, ganz egal, ob irgend eine Jury sie irgend wo und wann mit dem Salmiakgeist des Preisgeldes auf irgendeine goldene Nadel gestochen hat. — Komplize Kleist — Die Gelegenheit dieser Laudatio zum Goethepreis erinnert mich an das Jahr 2000. Da wurde dieser heute zu Lobenden der ebenfalls hoch angesehene Kleist-Preis verliehen. Das war eine Anerkennung für ihre ersten sechs Romane.
Als ich dich, vielliebe Freundin und bewunderte Kollegin, damals, vor nun 23 Jahren, im Literatur-Karussell plötzlich auf dem hölzernen Kleist-Pferdchen vorbei reiten sah, frohlockte mein Ostdeutsches Herz. Ein Kleistpreis für unsere Berliner Pflanze Babu Honigmann!! Kein Klassiker war dieser Kleist, sondern ein Preußischer Sonderling. Er war unangepasst und sperrig einsam bis in die Krankheit zum Selbstmord. — (…)
Bei unseren bedeutenden Schriftstellern, von Goethe und Schiller bis Büchner und Heinrich Heine, pochten unsere Kultur-Propagandisten im Kalten Krieg gegen den Klassenfeind auf die Besitzrechte der DDR. Ihr Kampfruf hieß «… denn er ist Unser!» Wir lachten uns mal in meiner Wolfshöhle Chausseestraße 131 schief über ein oft kolportiertes Ulbricht-Wort auf Sächsisch: «Der Genosse Goethe schuf nur ›Faust I› und ›Faust II›. Wir aber, Genossen, wir schreiben mit unserer Deutschen Demokratischen Republik den Faust III.!» – War das nun hämische Hetzte? Oder Wahrheit?
Kleist jedenfalls gehörte mehr zu all den Unangepassten in der DDR! Komplize für lautere und leisere Kohlhaasen und Don Quichotes. Kleist passte zweifellos auch zu Barbara Honigmann. Doch nun – und ohne Verzug – von Frankfurt an der Oder westwärts nach Frankfurt am Main! Von Kleist zum Dichterfürsten und Fürstendichter von Goethe. — Die Neuen nervten ihn — Schon 1774 definierte sich der früh vollendete Klassiker als das Maß und den Mittelpunkt der Literatur Deutschlands auf dem politischen Flickenteppich. In einem Gelegenheitsgedicht über eine gesellige Rheinfahrt – «Diné zu Coblenz» – erfand Goethe für sich selbst, in munter geknüttelten Paar-Reimen, ein Marketing-Logo. Er kreierte sich als «Das Weltkind in der Mitten».
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