22.01.2024 – News – FAZ online – Gerhard Stadelmaier — – Details
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Angela Winkler
Sie kommt aus einer Region, in der alle Träume bluten und man darüber lächeln kann, in Wahn- und Wahrsinnswelten ist sie zu Hause: der Schauspielerin Angela Winkler zum Achtzigsten. — Das gab es selbst in Wien noch nie. Mitten im zweiten Akt fällt der Vorhang. Aufgeregtes Getrappel und Geschimpfe dahinter. Man fängt den Akt noch mal von vorne an. Die Schauspielerin der Hannah hatte bei der Premiere der «Nacht des Leguan» von Tennessee Williams eine wichtige Brosche vergessen, die sich nicht durch Gesten ersetzen ließ, denn es war von ihr die Rede und sie musste sichtbar getragen werden. Was aber auch ging diese Schauspielerin eine Brosche an? Wo sie allein in das Wort «Brosche» aufgebrochen sein würde wie in einen sich über wunder- oder schreckensbrüchiger Oberfläche erstreckenden fremden Kontinent? Wo ja jedes Wort, das ihr über die Zunge kommt, die größte, aber auch schwierigste Kostbarkeit, zugleich der juwelenfunkelndste Abgrund ist. Was war dagegen eine armselige Brosche aus der Requisite?
Wenn es aber eine Schauspielerin gibt, die, getragen von allen guten Phantasieluftgeistern, eine Brosche vergessen durfte, dann Angela Winkler. Sie hat dazu das Recht der genial in sich Versunkenen. Die alles Störende, Dinghafte um sich herum ins Phantastische wegrückt. Sie kommt, wenn sie die Szene betritt, wie aus einer Welt, in der andere aufgeschmissen wären. Und sie geht, wenn sie die Szene mit sich und ihren Gesichten, ihren hellen Wahnentwürfen und ihrer dunklen Phantasmenmusik erfüllt und verzaubert hat, immer wie in eine Welt hinein, von der andere sich nichts träumen lassen möchten. Das Wunderbare dabei: Sie ist nie fertig. Sie ist das lebensspielende Dementi des gängigen Hauptfehlers deutscher Schauspielerei: Figuren schnell fertig zu machen, sie abgepackt und wohlverschnürt (mit Thesen, Technik, Tralala) abzuliefern. — Angela Winkler liefert nicht. Dazu hat sie keine Zeit, weil sie sich auf ihren Reisen in Stücke und Wörter und Figuren hinein unendlich viel Zeit lässt. Dabei macht sie fast nichts. Höchstens, dass sie sich das lange, dichte Haar aus dem Gesicht streicht, als wische sie eine Maske fort. Oder dass sie ihrem stets fiebrig in sanftem Rausch taumelnden Körper einen kleinen verhuschten Stop!-Ruck befiehlt. Ein kurzes Innehalten in einem unaufhörlichen Selbstverbrennungsprozess – den sie mit nichts als ihren unglaublichen Augen entfacht. Den Dümmeren und Unempfindlicheren im Parkett geht sie damit auf die Nerven. Die entzündbaren Augenspielliebhaber aber entzückt sie. Man muss sich in sie verschauen – oder wegschauen. Es gibt kein Drittes.
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