31.05.2024 – News – Zeit Online – Matthias Dell — – Details
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Thomas Heise
Thomas Heise, als Filmemacher in der DDR sozialisiert, war einer der wichtigsten deutschen Dokumentarfilmer, auch als Lehrer für andere. Nun ist er gestorben. Ein Nachruf — — Um zu verstehen, was für ein Mensch der Dokumentarfilmemacher Thomas Heise war, ist unter den vielen Geschichten, die sich über ihn, seine Filme und seine Arbeitsweise erzählen ließen, diese ganz hilfreich. Sie spielt in den 1980er-Jahren, in denen Heise eigentlich keine Filme machen durfte, weil er von der Filmhochschule der DDR in Potsdam-Babelsberg abgegangen war, um seinem Rauswurf zuvorzukommen. Arbeit fand er damals unter anderem bei der Staatlichen Filmdokumentation der DDR. Das war eine Art Bad Bank des realexistierenden Sozialismus; dokumentiert werden sollte das Leben in der DDR fürs Archiv, um diese Szenen über die Schwierigkeiten im Alltag als Material für später zu sichern. — Heise machte für die Staatlichen Filmdokumentation zwei Arbeiten. Das Haus (1984/2001), das an sieben Tagen die Routine zwischen Behörde und Bürger im Rathaus von Berlin-Mitte durchdekliniert (Wohnungsvergabe, Standesamt, Jugendamt und so weiter), und Volkspolizei (1985/2001). Dafür wollte Heise in dem Revier in der Brunnenstraße in Berlin-Mitte drehen, das in einem alten Wohngebäude residierte. Dem Major von der Volkspolizei, der die Genehmigung erteilen sollte, schwebte dagegen eine neue, repräsentativere Dienststelle im Bezirk Lichtenberg vor, in dessen Neubaublocks zudem die solideren Charaktere zu erwarten waren. Der kaum 30-jährige Heise bestellte den Major daraufhin morgens um 8 Uhr in die Räume der Staatlichen Filmdokumentation am Rosenthaler Platz, zwei Stunden, bevor der Betrieb dort losging; er hatte sich einen Schlüssel besorgt, um hinter einem Schreibtisch, der nicht seiner war, dem Plan mit dem Revier in der Brunnenstraße Überzeugungskraft zu verleihen – etwa mit dem Hinweis, er könne hier jetzt auch direkt den Innenminister anrufen. Was nicht stimmte, aber Wirkung zeigte. — Die beiden Filme stießen bei der Abnahme auf wenig Gegenliebe, weil sie trotz der dürftigen Mittel eine Form hatten, die dem angedachten Abfilmen entgegenstand. Die Arbeiten landeten aber wie vorgesehen im Archiv; ihre Vernichtung wäre bei der Planerfüllung negativ zu Buche geschlagen. Es brauchte nach 1990 dann noch zehn Jahre, um sie dort wieder herauszuholen (mittlerweile: Bundesarchiv) und in das Werk von Thomas Heise zu integrieren. Zwischendurch hatten die Rechteinhaber die Filme als — Klammermaterial» für andere Dokumentationen verkauft, wo Heises Bilder aus Volkspolizei plötzlich als Ausschnitte aus einem Stasi-Schulungsfilm firmierten. — In dieser Geschichte steckt alles, was Thomas Heise als Filmemacher ausgemacht hat: die Cleverness, auch unter widrigen Umständen an den eigenen Sachen arbeiten zu können; die Fähigkeit, mit einfachen Mitteln eine wiedererkennbare Klarheit in der Form zu erreichen; und ein Bewusstsein fürs Material, um ein Werk zu schaffen, auf das immer wieder zurückgekommen werden kann – weil in ihm die deutsche Geschichte des langen 20. Jahrhunderts aufgehoben ist wie in keinem anderen des deutschen Dokumentarfilms: Krieg und Vernichtung, Repression und Gewalt. — Thomas Heise (hier im Jahr 2011 fotografiert) hat ein filmisches Werk geschaffen, auf das immer wieder zurückgekommen werden kann – weil in ihm die deutsche Geschichte des langen 20. Jahrhunderts aufgehoben ist wie in keinem anderen des deutschen Dokumentarfilms.
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