03.08.2024 – News – NZZ – Roman Bucheli, Benedict Neff — – Details
Michail Schischkin
Der russische Schriftsteller Michail Schischkin kam vor fast dreissig Jahren freiwillig in die Schweiz. Heute könnte er nicht mehr in seine Heimat zurückkehren. Ein Gespräch über die Schweiz, Russland und den Krieg. ««Ich wollte immer, mein ganzes Leben lang, anders sein. In der Schweiz aber wollte ich am Anfang wie alle anderen sein», sagt der russische Schriftsteller Michail Schischkin.
Herr Schischkin, Sie sind 1995 in die Schweiz gekommen. Was waren Ihre Eindrücke von diesem Land? «Bei meinem ersten Besuch habe ich das Land wie eine Postkarten-Schweiz erlebt. Hier zu leben, schien mir ein Horror zu sein. Als Autor brauche ich russische Geschichten, russische Spannung. Worüber soll ich in der Schweiz schreiben? Dass ein Tram Verspätung hat? Ich dachte, es ist absolut unmöglich, hier zu leben. «Sie waren wegen Ihrer damaligen Frau in die Schweiz gezogen. «Genau. Ich hatte meine Frau in Moskau kennengelernt. Sie hatte in Zürich Slawistik studiert und wollte mich ins Deutsche übersetzen. So kamen wir zusammen; später haben wir dann in Moskau geheiratet. Irgendwann wurde Franziska schwanger, und sie hatte genug von der russischen Exotik: kein Geld, keine Grossmutter, keine normale Infrastruktur. Also sind wir im Herbst 1995 in die Schweiz gekommen, und kurz darauf kam unser Sohn Konstantin auf die Welt. «Wie fühlten Sie sich dann? «Wie auf einem anderen Planeten. Ich hatte keine Ahnung, wie ich hier Geld verdienen sollte. Wenn du zu Hause bist, siehst du alle unsichtbaren Drähte, die die Welt zusammenhalten. Du weisst, diesen Draht musst du ziehen, und den anderen darfst du auf keinen Fall berühren. Aber wenn man auf einem anderen Planeten ist, sieht man diese Drähte nicht. Man macht einen Fauxpas nach dem anderen. Vor allem drehte sich alles ums Geld. «Womit haben Sie es verdient? «Ich habe angefangen, Russisch zu unterrichten. Aber natürlich gab es mehr russische Lehrer als Schüler in diesem Land. Ich war absolut verzweifelt. Wir lebten in Seuzach, und ich habe den Tag damit verbracht, einen Job zu finden. Einmal fuhr ich von Zürich zurück nach Seuzach und dachte mir: Seit einem halben Jahr versuche ich erfolglos, eine feste Stelle zu finden, ich gebe mein Bestes, aber es nützt nichts – also muss mir ein russischer Gott helfen, und zwar sofort. «Und hat er geholfen? «Mir gegenüber sass ein Herr mit einer Zeitung, die er liegenliess, als er aus dem Zug ausstieg. Ich schlug sie auf und sah gleich das Inserat einer Firma aus Meggen, die Menschen mit Fremdsprachenkenntnissen suchte. Ich habe mich beworben und den Job sofort bekommen und zwei Jahre dort gearbeitet.
SK-news