Der persönliche JahresrückblickMit Katja EngelhardtIm Jahr 2020 haben einige auch in der Musikindustrie tragisch zurückstecken müssen: Touren wurden abgesagt, Alben verschoben. Und dann gab es auch Gewinner, was in diesen kontrastreichen Zeiten fast obskur wirkt. Taylor Swift hat gleich zwei Überraschungsalben veröffentlicht. Andere wie Charli XCX, die eine enge Fanbindung pflegt, haben mit Fans Musik geschrieben und direkt auf schnellstem Wege veröffentlicht. Und dann gibt‘s noch Musikerinnen wie ML Buch, deren Album Digitalisierung auslotet und eher zufällig so gut in diese Monate vor den Bildschirmen passt, voller “Hörst du mich?” und “Dein Mikro ist aus!”01. Charli XCX how i’m feeling now02. Culk Zerstreuen Über Euch03. Arca KiCk i04. U.S. Girls Heavy Light05. Taylor Swift folklore06. Amnesia Scanner Tearless07. Vandalismus Gloria und Schwefel08. Hania Rani Home09. Kate NV Room For The Moond10. Angel-Ho Woman Call11. Sofia Portanet Freier Geist12. Kelly Lee Owens Inner Song13. Onipa We No Be Machine14. SAULT Untitled (Rise)15. Run The Jewels RTJ416. All diese Gewalt Andere17.Sofie Cult Survivor18. Anna Calvi Hunted19. ML Buch Skinned20. Madeline Kenney Sucker’s Lunch
Die letzten Jahre seines Lebens vegetierte er als Obdachloser dahin, in einem Park in Manhattan. Als Julius Eastman 1990 starb, nahm die Musikwelt keine Notiz mehr davon. Dabei hatte Eastman in den 1970er Jahren zu den kreativsten Köpfen der amerikanischen Musik gehört. — Er war von dem einflussreichen Dirigenten Lukas Foss gefördert worden, hatte mit John Cage und Meredith Monk zusammengearbeitet, und auf Fotos auf dieser Zeit sieht man ihn selbstbewusst lächelnd neben Morton Feldman. Julius Eastman war ein Multitalent: ein begabter Pianist, ein begnadeter Sänger und vor allem ein innovativer Komponist, der die klaren Strukturen der minimal music, die Direktheit der Popmusik und die Freiheit der Improvisation zu einem kraftvollen Individualstil verband. Doch als Afroamerikaner und Homosexueller sah er sich in den USA vielfachen Diskriminierungen ausgesetzt, und mit seiner konzessionslosen politischen Haltung (die sich auch in provozierenden Stücktiteln wie «Evil Nigger» oder «If You›re So Smart, Why Aren›t You Rich?» ausdrückt) eckte er immer wieder an. Eine große Karriere blieb ihm verwehrt, stattdessen verfiel er Alkohol und Drogen. Erst heute wird er nach und nach wiederentdeckt: die mitreißende Originalität, die wilde Freiheit, die politische Aktualität seiner Musik. Die Pianistin Patricia Martin hat noch als Studentin 1980 mit ihm zusammengearbeitet und führte nun, 2020 inmitten der Corona-Pandemie und zeitgleich zur Black Lives Matter-Bewegung in den USA, Eastmans Musik für vier Klaviere beim Moers Festival wieder auf. Zusammen mit ihrem Pianisten-Kollegen Kai Schumacher führt sie in Eastmans Werk «Gay Guerrilla» ein und erinnert an einen Unbeugsamen.
Die letzten Jahre seines Lebens vegetierte er als Obdachloser dahin, in einem Park in Manhattan. Als Julius Eastman 1990 starb, nahm die Musikwelt keine Notiz mehr davon. Dabei hatte Eastman in den 1970er Jahren zu den kreativsten Köpfen der amerikanischen Musik gehört.
Elis Regina ist ein Phänomen. Mit 15 ein Kinderstar, zehn Jahre später die bestbezahlte Sängerin in ganz Brasilien. Sie definiert die MPB, die Musica Popular Brasileira, und bleibt auch in der Zeit der Militärdiktatur praktisch unantastbar.
Viele halten ihn für den größten Trompeter des Jazz, noch vor Größen wie Miles Davis, Dizzy Gillespie oder Clifford Brown. Warum das so ist, zeigt Henning Sieverts in seinem Porträt. — Mit Highlights aus Clark Terrys 70-jähriger Karriere, u.a. mit Duke Ellington, Oscar Peterson, Horace Silver, Tommy Flanagan, Yusuf Lateef und dem Metropol Orchestra.
Am 14. Dezember wäre Clark Terry 100 Jahre alt geworden. Er gehörte jahrzehntelang zu den führenden Jazztrompetern, war für Louis Armstrong die Nummer eins unter ihnen. Zudem war Terry auch ein Meister am Flügelhorn. — Wie kaum ein Musiker seiner Kragenweite spielte Clark Terry in den Orchestern von Duke Ellington und Count Basie, was ihn zeitlebens sehr stolz machte. Wobei Terrys Zeit bei Ellington wesentlich länger (von 1951 bis 1959) und auch prägender war. Der Duke hat Clark Terry immer wieder geadelt und zum Beispiel betont, dieser Musiker stehe außerhalb jeder Kategorie.
Neulich habe ich einen meiner sympathischen Nachbarn im Treppenhaus getroffen. Mit gleich zwei Kinderwägen stand er vor dem Aufzug. Die Kids in Erwartung eines Spaziergangs, während draußen der letzte kalte Tageschimmer schon beinahe der Abenddämmerung das Land überlassen hatte. Er grüßte mich freundlich; fragte mich, ob ich jetzt in den Funk senden gehe; und dann, als hätte er gerade eine spontane Erinnerung an andere Zeiten: «Ja, man müsste mal wieder Portishead hören. Oder Radiohead. Das wäre schön.» Und dann klang es in meinen Ohren so, als würde ein tiefer Seufzer seinem sehr langen, dünnen Vaterkörper entweichen. Inzwischen war der Aufzug bereit, und Patrick entschwand mit den Kids. War das gerade ein Auftrag an mich? Radiohead, Portishead? Kaum waren zwei Tage vergangen, kamen unerwartet zwei neue Songs aus England. Von Thom «Radiohead» York, im Verbund mit den Kollegen Four Teat und Burial. Ein All-Star-Gipfel im Londoner Electronic Underground? Why not? Und die Musik der drei passt ebenso gut in diese Zeiten, wie der so melancholische, doch beglückende Triphop von Portishead und anderen Bristolians. Oder wie M. Ward und Billie Holiday. Oder wie…mal sehen, ob mir noch andere Nachbarn mit Musikwünschen begegnen.
Ein amerikanisch-russischer Konzertabend mit Michael Tilson Thomas und dem San Francisco Symphony Orchestra
Vor genau dreißig Jahren, am 2. Dezember 1990, ist Aaron Copland mit neunzig Jahren gestorben. Copland ist einer der bedeutendsten amerikanischen Komponisten des 20. Jahrhunderts, der stets darauf bedacht war, «echte amerikanische Musik» zu schreiben. Seine dritte Sinfonie hat Copland noch während des Zweiten Weltkrieges begonnen und dann 1946 vollendet. Das Finale spiegelt die euphorische Stimmung in Amerika nach dem Ende des Krieges wider. Mit amerikanischer Musik beginnt das San Francisco Symphony Orchestra auch sein Konzert: mit der Uraufführung von «Sudden Changes», einer sehr klangfarbigen Komposition von Charles Wuorinen, einem langjährigen Freund des Chefdirigenten Michael Tilson Thomas. Russische Akzente setzt der Pianist Behzod Abduraimov aus Usbekistan mit dem hochvirtuosen dritten Klavierkonzert von Sergej Prokofjew.
Billie Joe Armstrong, Sänger von Green Day, hat seine Lieblingssongs zuerst aus Langeweile homerecording-mäßig eingespielt und dann auf YouTube immer montags veröffentlicht. Jetzt gibt’s ein Album dazu, „No Fun Mondays“. Er covert keinen John Lennon, dafür aber Wreckless Eric und die Bangles. Die Gorillaz haben mit St. Vincent einen Song gemacht, der inhaltlich an „Major Tom“ oder „Rocket Man“ erinnert, musikalisch aber gar nichts mit Peter Schilling oder Elton John zu tun hat.
Mit seinem Buch „Männerphantasien” schrieb er Kulturgeschichte – als wilder Denker wurde Klaus Theweleit berühmt. Wegen seiner ungezügelten Intelligenz ließ ihn die Freiburger Universität vorsichthalber nicht auf die Studenten los – der frischgebackene Dr. phil. Klaus Theweleit machte das Beste draus, schrieb seine Dissertation über die Freikorps-Literatur um, in zwei Bände „Männerphantasien”. SPIEGEL-Chef Rudolf Augstein rezensierte das Werk höchstpersönlich auf acht (!) Druckseiten. Das war 1977, der Ruhm kam prompt und wuchs mit jeder weiteren Publikation wie etwa dem vierbändigen „Buch der Könige” bis hin zum 3.000-seitigen Opus Magnum „Pocahontas”, das Klaus Theweleit 2020 nach 20 Jahren Arbeit abschloss. Wie immer bei Theweleit, der 1942 geboren wurde, müssen Leserinnen und Leser sich anschnallen – für ein rasantes Rennen quer durch alle Kulturen und Zeiten, im feurigen Theweleit-Sound für viele ein großes intellektuelles Vergnügen.
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