Unnachahmlich zart und poetisch – Zum 150. Geburtstag von Reynaldo Hahn

11.08.2024Welt der MusikNDR KulturElisabeth Richter. —   –  Details

Reynaldo Hahn

«Dieses ‹geniale Musikinstrument‹ namens Reynaldo Hahn ergreift alle Herzen, macht die Augen feucht, und bebend vor Bewunderung beugt sich ein Haupt nach dem anderen, dem stummen und feierlichen Bogen eines Kornfeldes im Wind gleich.» So poetisch beschreibt der Schriftsteller Marcel Proust den Komponisten, Sänger und Dirigenten Reynaldo Hahn. 1894 lernt er den damals 19-jährigen Künstler im Haus der Malerin und Grafikerin Madeleine Lemaire bei einem ihrer Salons kennen. Marcel Proust ist 23 Jahre und hingerissen von Reynaldo Hahns Stimme, wie er seine eigenen Lieder singt und sich selbst am Flügel begleitet. «Den Kopf leicht nach hinten geneigt, während der melancholische, ein wenig verachtungsvolle Mund, die rhythmisierte Flut der schönsten, der traurigsten und der wärmsten Stimme entlässt, die es je gab.» Reynaldo Hahn und Marcel Proust werden ein Paar; zwei Jahre hält die Liebesbeziehung. Doch die tiefe Freundschaft, der künstlerische Austausch sollte bis zu Prousts Tod im November 1922 andauern. «Mehr als der Geliebte von Marcel Proust — Reynaldo Hahn war einer der bedeutendsten französischen Lied-Komponisten Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, in der Belle Époque. Seine Kollegen – Debussy, Fauré oder Poulenc und andere, ebenfalls große Lied-Komponisten – schätzten ihn. In Deutschland weiß man heute viel zu wenig über diesen faszinierenden Künstler. Er war weit mehr als der Geliebte von Marcel Proust: Ein exzellenter Komponist, nicht nur von Liedern, er war Dirigent, Schriftsteller und Sänger, ein Intellektueller, ein Kosmopolit. Geboren wird Reynaldo Hahn am 9. August 1874 im venezolanischen Caracas. Sein Vater Carlos Hahn – Karl Hahn – stammte aus Hamburg. Er hatte jüdische Wurzeln, sein Großvater war Rabbiner in Altona. Carlos Hahn wird Geschäftsmann und emigriert Mitte des 19. Jahrhunderts nach Venezuela. Er ist ein erfolgreicher Wirtschaftsberater und arbeitet für den Präsidenten des Landes. Reynaldo Hahns katholische Mutter Elena hatte spanisch-baskische Vorfahren. Als sich die politischen Verhältnisse in Venezuela ändern, geht die große Familie nach Paris. Reynaldo ist 1878 drei Jahre alt und das jüngste von insgesamt zwölf Kindern. Er hört schon früh beim Klavierunterricht seiner Schwestern zu und macht sich bald selbst ans Klavier. Der französische Musikkritiker Bernard Gavoty kannte Reynaldo Hahn und zitiert ihn in seiner Biografie: «Ich glaube, dass ich schon mit drei Jahren meine Finger auf die Tastatur legen konnte. Mit fünf Jahren, daran erinnere ich mich genau, spielte ich, um meine Familie zu erfreuen, und zu meiner eigenen Zufriedenheit. Mit acht Jahren komponierte ich. Eine italienische Klavierlehrerin brachte mir schon früh bei, wie man Noten schreibt.»

Ein kleiner Mozart – Star in den Pariser Salons — Reynaldo Hahn entpuppt sich als Wunderkind. Schon mit sechs Jahren tritt er bei Prinzessin Mathilde auf, einer Nichte von Napoleon Bonaparte. Sein Talent spricht sich herum. Er wird als «kleiner Mozart» gehandelt. Seine Eltern haben gute Kontakte zu venezolanischen Geschäftsleuten – so findet Reynaldo Hahn Zugang in die gehobene Gesellschaft. Er spielt und singt in den Salons der Pariser Aristokratie. Er wird ein Star. In diesem Umfeld lernt Reynaldo Hahn berühmte Dichter kennen, deren Lieder er vertont: Paul Verlaine oder Stéphane Mallarmé. Er ist erst 13 Jahre, als er das Lied «Si mes vers avaient des ailes» (Wenn meine Verse Flügel hätten) schreibt. Ende des 19. Jahrhunderts ist es eines der bekanntesten Lieder in Frankreich. «Schüler von Jules Massenet — Reynaldo Hahn kommt schon mit elf Jahren ans Pariser Konservatorium. Dort studiert zum Beispiel auch Maurice Ravel. Hahns wichtigster Lehrer ist Jules Massenet. Man hört diese Prägung in einigen Werken, zum Beispiel in der ersten Oper «L›Île du rêve». Mit nur 17 Jahren beginnt Reynaldo Hahn 1891 die Komposition, die Uraufführung war 1898 an der Pariser Opéra Comique. «Die Insel der Träume», das ist Tahiti. Es ist ein Sehnsuchtsort, wo nur der Augenblick zählt. Die Liebe zwischen dem europäischen Offizier Loti und der einheimischen Mahénu hat aber keine Zukunft. Das exotische Sujet ist damals nicht nur in Frankreich beliebt. Puccinis «Madama Butterfly» etwa spielt in Japan, oder Léo Delibes «Lakmé» in Indien. Hahn wird weitere Opern schreiben. Musiktheater und Lied werden seine bevorzugten Genres. Aber man sollte seine unglaublich poetische Klaviermusik kennen, seine zauberhafte Violinsonate oder das Klavierquintett, die wunderschönen Bläser-Farben in seiner Ballett-Suite «Le Bal de Béatrice d›Este». «Geheimnisvoll schillernde Farben — Ein großer Einschnitt bedeutet für Reynaldo Hahn der erste Weltkrieg. Seit 1907 endlich französischer Staatsbürger, kämpft er sogar an der Front. An eine Freundin schreibt er: «Wenn Sie wüssten, wie entmutigend und trostlos es ist, an all den Zerstörungen entlangzufahren, an all den Ruinen, wo ich doch meiner künstlerischen Berufung wegen nach nichts anderem strebe als danach, etwas Schönes zu erschaffen!» «Nostalgie nach dem ersten Weltkrieg — Nach dem Krieg war die Welt eine andere geworden, besonders für Reynaldo Hahn, den Künstler der Belle Époque. Voller Nostalgie blickt er zurück auf die für ihn so erfolgreiche Zeit der Salons am Ende des 19. Jahrhunderts, in der er groß geworden ist. Musikalisch wird Reynaldo Hahn in seinen Kompositionen die Neuerungen der musikalischen Moderne nicht mitgehen. Seine Musik hat einen nostalgischen Charakter. Das kommt ihm aber zugute – nämlich für seinen größten Bühnenerfolg, die Operette «Ciboulette» von 1923. Hier hat er explizit den Auftrag von dem Journalisten, Librettisten und Dramatiker Robert de Flers, eine Musik zu schreiben, die an die große Zeit der französischen Operette im 19. Jahrhundert anknüpft, an Offenbach und andere. «Ciboulette» heißt «Schnittlauch», die Protagonistin des Stücks ist eine pfiffige junge Gemüsehändlerin vom Land, die in den legendären Pariser Markthallen «Les Halles» für viel Liebeswirbel sorgt. Stilistisch hört man eine mozartische Leichtigkeit, fühlt sich aber auch an Debussy, Offenbach oder Gounod erinnert. Die Musik spielt geschickt und humorvoll mit Zitaten, ist leicht und eingängig, niemals vordergründig, sondern mit einem Blick in die Tiefen der Seele: eine Rarität, die es lohnt zu kennen. «Ciboulette – Operette mit Witz und Tiefgang — Eine Rarität, die auch von Wehmut und Nostalgie durchzogen ist: Das sind allgemein Charakteristika von Reynaldo Hahns Musik, auch schon vor dem ersten Weltkrieg. Doch danach scheinen sich diese Aspekte zu verstärken. In den 1920er- und 30er-Jahren arbeitet Reynaldo Hahn als Komponist, Sänger, Dirigent, Kritiker und Lehrer – er ist Professor an der École normale de musique in Paris. Aber dann holen ihn die Zeitläufe ein: Paris wird im zweiten Weltkrieg von Nazi-Deutschland besetzt. Hahns Musik wird verboten. Wegen seiner jüdischen Herkunft verlässt er Paris, geht nach Südfrankreich und dann nach Monte Carlo. Nach dem Krieg kehrt er zurück und wird 1945 Direktor der Pariser Opéra. Doch nur für kurze Zeit: Am 28. Januar 1947 stirbt Reynaldo Hahn mit 73 Jahren. «Glücklicherweise wird Reynaldo Hahn jetzt peu à peu wiederentdeckt – zurecht! Seine Musik hat eine exzellente Qualität. Sie ist einfach, aber niemals eindimensional oder banal, sie hinterfragt und beleuchtet in ihrer unnachahmlichen Zartheit und Poesie Zusammenhänge. Sie sucht nach Wahrheit. «

 
 

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‹Soll ich mit dir geh‘n?› – Das Lied vom Leiermann

11.08.2024Kaisers Klänge – Musikalische Entdeckungsreisenhr2 kulturNiels Kaiser —   –  Details

Franz Schubert

Schuberts Winterreise wird von vielen gesungen und ist oft bearbeitet worden. Ganz besonders angetan aber hat es den meisten Interpreten das letzte Lied des Zyklus: Der Leiermann. «Ob Popsänger Sting, Jazzerin Greta Keller, die Volksmusiker von Franui oder Hannes Wader an der Gitarre – sie alle stellen sich in ihren je ganz eigenen Interpretationen die Frage: «Wunderlicher Alter, soll ich mit dir geh›n?»

 
 

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Arbeit an der Sichtbarkeit – – Warum Projekträume in der Kunst so wichtig sind

11.08.2024Stunde 1 LaborDeutschlandfunk KulturThorsten Jantschek —   –  Details

Inter Space

Es gibt viel mehr Künstlerinnen und Künstler, als es Ausstellungsmöglichkeiten in Galerien für sie gibt. Deshalb betreiben immer mehr Menschen aus der Kunstszene Projekträume als selbstorganisierte Kraftzentren der Sichtbarkeit.

 

In Berlin gibt es sicher über einhundert solcher Räume, kleine Läden, zwischengenutzte Immobilen, mal als Gruppe oder Verein organisiert, mal ganz individuell gestaltet. Wer Gegenwartskunst entdecken will, kommt an diesen Initiativen nicht vorbei. Und es macht Spaß, sie zu entdecken. Wir besuchen fünf Kunstevents und sprechen mit den Macher*innen.

 
 

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‹Das Cello ist das Schweizer Messer unter den Instrumenten› – Johannes Moser

11.08.2024Menschen und ihre Musikhr2 kulturChristiane Hillebrand —   –  Details

Johannes Moser

‹Das Cello ist das Schweizer Messer unter den Instrumenten› – Johannes Moser «›Uns kann man überall einsetzen›, schwärmt Cello-Virtuose Johannes Moser von seinem Instrument. Er liebt es, Neues auszuprobieren und gibt regelmäßig Cellokonzerte in Auftrag, die er dann zur Uraufführung bringt.

 
 

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Wege, die man nicht vergisst / Der Autor und Journalist Dietmar Grieser zum 90. Geburtstag

11.08.2024MenschenbilderÖ1Heinz Janisch —   –  Details

Dietmar Grieser

Titel: «Wege, die man nicht vergisst.» Der Autor und Journalist Dietmar Grieser — Dietmar Grieser hat zu seinen Themen einen eigenen Zugang entwickelt und einen persönlichen Stil geprägt. Als «Literaturdetektiv», als «flanierender Reporter der Vergangenheit» wird er mitunter bezeichnet. Der Bestseller-Autor hat ein Gespür für ungewöhnliche Lebensgeschichten und besondere Orte, er ist ein Meister der literarischen Reportage. — Geboren am 9. März 1934 in Hannover, wuchs Dietmar Grieser in der Saarpfalz auf. Er begann sein Studium der Publizistik und Sozialwissenschaft in Münster und München. Seit 1957 lebt er – nach einem Auslandssemester – ganz in Wien, längst ist er österreichischer Staatsbürger. — Seit 1973 veröffentlicht Dietmar Grieser in regelmäßigen Abständen Bücher, die allesamt zu Bestsellern werden. Sein umfangreiches Werk umfasst auch zahlreiche Sendereihen im Hörfunk und Fernsehen wie «Schauplätze der Weltliteratur», «Dichtung und Wahrheit» und «Köpfe.» Sein 50. Buch trug den Titel: «Wien -Wahlheimat der Genies». Kundig und humorvoll unternahm der Autor eine Reise durch die Jahrhunderte und folgte dabei den biografischen Spuren prominenter «Zuzügler», die in Wien eine neue Heimat fanden. — Dietmar Griesers 90. Geburtstag ist Anlass zur Wiederholung dieses Menschenbilds aus dem Jahr 2020. Auch seither erschienen neue Bücher von Dietmar Grieser mit aktuellen Bezügen: «Geliebte Ukraine. Auf literarischer Spurensuche zwischen Donezk und Anatevka» und zuletzt: «Es muss was Wunderbares sein Das Salzkammergut und seine Künstler», beide im Amalthea Verlag.

 
 

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