Blackface ist nicht gleich Blackface. Als Chico Buarque 1984 im Fernsehen mit schwarz geschminktem Gesicht auftritt, trägt neben ihm Gilberto Gil weiße Farbe im Gesicht. Gemeinsam spielen sie verkehrte Welt und schaffen so ein Bewusstsein für Rassismus und Ungleichheit im Land, so schreiben Ursula Prutsch und Enrique Rodrigues-Moura in ihrer Kulturgeschichte Brasiliens. Buarque und Gil verschränken internationalen Pop mit lokalen Traditionen, sie lassen den kulturellen Kannibalismus eines Oswald de Andrade wiederaufleben, der Anfang des Jahrhunderts forderte, wie Indigene bewusst auszuwählen, welche Einflüsse man aufnimmt und welche man wieder ausspuckt. Chico Buarque schreibt auch eines von vier Alben mit Geschichte, mit dem sich die Musikviertelstunde anlässlich des 200. Unabhängigkeitstages Brasiliens beschäftigt.
Die amerikanische Indie – Rock – Band Built To Spill hat viele Umbesetzungen erfahren im Laufe ihrer 30jährigen Karriere. Die einzige Konstante ist Doug Martsch als Sänger und Gitarrist. — Für das neue Album «When The Wind Forgets Your Name» hat sich der stilistisch an Dinosaur jr. oder Neil Young erinnernde Musiker mit einer brasilianischen Jazz Rock -Combo zusammen getan, die er während einer Tournee durch Südamerika kennen lernte. Klingt aber so kraftvoll psychedelisch, wie man es von einem Built To Spill – Album erwartet.
— Ausserdem: «Farewell», der vierte und letzte Teil des «I Am The Moon»-Projektes der Tedeschi Trucks Band.
Solo-Klarinettist bei den Wiener Philharmonikern zu sein, ist «der coolste Beruf der Welt». Das hat Daniel Ottensamer bereits von seinem Vater vorgelebt bekommen. Längst ist er in dessen Fußstapfen getreten und selbst Solo-Klarinettist des Orchesters. Für die Philharmoniker gibt Daniel Ottensamer aber nicht nur auf der Bühne alles, sondern auch auf dem Fußballplatz im orchestereigenen Fußballclub. Wie das ist, wenn Spitzenmusiker den Platz stürmen, warum es gut ist, ab und zu aus der eigenen «Klassik-Box» auszubrechen und wieso sich auch Instrumentalisten mehr mit der menschlichen Stimme beschäftigen sollten, das verrät Daniel Ottensamer persönlich. (Wdh. vom 26.6.22)
Barbara Thalheims Hassliebe zur ehemaligen DDR durchzieht ihre Songs wie ein roter Faden und macht sie zu einer Meisterin der Ambivalenz, vor allem im Disput mit selbstgerechten, moralischen Zeigefingern des Westens. — Anlässlich ihres 75. Geburtstages, am fünften September, lässt die Liederlounge Barbara Thalheims bissige und schmissige Lieder aus über fünfzig Schaffensjahren Revue passieren, darunter auch «Ich und Du» von ihrem neuen Album «Novemberblues». In Interviews mit ihr zeigt sich der Schmerz über das Scheitern einer ebenbürtigen Wiedervereinigung, aber auch die Freude über ein gelingendes Sich-Neu-Erfinden nach der Wende. — Als Einzelkind häufig umgeschult zwischen den Dialekt-Hochburgen Leipzig und Berlin verwundert es nicht, dass Barbara Thalheim «alle Schulen gehasst» hat. Dass sie dennoch ihren Weg zu einer Ausbildung als Schlagersängerin fand, um dann mit ihrem Song «Als ich vierzehn war» direkt DDR-Musikgeschichte zu schreiben, verdankt sie sicherlich der Prägung durch ihre beiden künstlerischen Eltern. Ihr Vater, der als Kommunist und Antifaschist Dachau überlebt hatte, war Dramaturg an der Komischen Oper – ihre Mutter arbeitete im Varieté-Theater im Friedrichstadt-Palast. — Barbara Thalheim verbrachte nach der Wende viel Zeit in Frankreich, was sich vor allem im witzigen Sieben-Minüter «Souper mit Juliette» niederschlägt. Dass es in ihrem «Kinderland», der ehemaligen DDR, keine Reisefreiheit gab, betrachtet sie rückblickend als den «größten Schmerzpunkt» überhaupt. Aber dass man dort, wo man seine Wurzeln hat, für ein besseres Leben Kompromisse schließen, kämpfen und singen muss, das stand für sie nie zur Diskussion. — Happy birthday, Barbara Thalheim!
Laura Freudenthaler hat nun eine Homepage. «Dieser Umstand verdankt sich der Europäischen Union», steht dort. — Die EU zeichnete Freudenthalers jüngsten Roman «Geistergeschichte» aus, die Homepage gab es dazu. Sie sei für die erfolgreiche Selbstvermarktung unerlässlich, habe man ihr erklärt. Auf die Seite stellte Freudenthaler Essays, die die Grundregeln schnellen Internetkonsums elegant überhören: sie sind lange, komplex gedacht, ohne Fotos der Autorin. — Selfie am Schreibtisch? Laura Freudenthaler besitzt kein Smartphone. «Es erfordert eine Verweigerung», sagt sie. Freudenthaler wird 1984 in Salzburg geboren, studiert in Wien Germanistik, Gender Studies und Philosophie, arbeitet als Übersetzerin. 2020 gewinnt sie mit dem Text «Der heißeste Sommer» – Stichworte Pyromanie, Klimawandel – beim Bachmann-Wettbewerb den 3sat-Preis. In ihrem Porträt zum Wettlesen sieht man den Ausblick in einen Hinterhof: ihre Schreibsituation, die nötige Ruhe.
Österreichs junges Ausnahmetalent am Vibrafon, Tobias Meissl, hat sich nach seiner Rückkehr aus den USA, wo er am Berklee College of Music in Boston mit einem Vollstipendium studiert hat, rasch etablieren können. Gemeinsam mit Ivar Roban Krizic am Kontrabass und Langzeitmitstreiter Valentin Duit am Schlagzeug spielt er Musik auf der Kippe zwischen traditionellem Jazz und Neuer Unübersichtlichkeit – der heterogenen Improvisationsmusik der Gegenwart. Das gelingt dem Trio mit jener Selbstverständlichkeit, die der jüngeren Musiker:innen-Generation eigen zu sein scheint, die sich gerne im Fundus des American Songbook bedient und ebenso spielerisch zeitgenössische Einflüsse aus allen Richtungen zulässt.
Diese Ö1 Radiosession wird gefördert durch die Verwertungsgesellschaft Rundfunk GmbH (VGR).
Aida Loos reflektiert in ihrem vierten Soloprogramm Kaffeehausdialoge und Cremeschnittenmonologe aus der Aida am Stephansplatz. Mit der Coronapandemie wurde die Schauspielerin nämlich arbeitsloos und daraufhin vom AMS als Servierkraft in die gleichnamige zuckerlrosa Filiale vermittelt. Nachdem sie den ersten Schlag mit Kaffee verdaut hat, tauscht sie die Bretter, die einst die Welt bedeuteten, gegen ein Besenkammerl, das nun ihre Pause darstellt.
Ein kleines Label auf reichen Entdeckungsreisen – Teil 2 — Nicht wenige unabhängige, kleine Labels haben sich in den letzten zwei Dekaden auf Entdeckungsreisen in aller Welt begeben, um jene Musik zu dokumentieren, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus der Verschmelzung lokaler Musiktraditionen mit westlicher Rock-, Pop-, Soul-, Funk- und Discomusik und deren Instrumentarium entstanden ist. Das New Yorker Label Ostinato Records sticht da heraus. Journalist Vik Sohonie hat es ins Leben gerufen, um nicht nur groovende und tanzbare Musik neu und wieder zu entdecken, sondern dabei vor allem auch die gesellschaftlichen und politischen Hintergründe ihrer Entstehung zu beleuchten – mit wenig Detailinformationen zu den einzelnen Tracks, dafür umso genauerer Aufbereitung des historischen Kontexts bestimmter Musikstile und ihrer Hybridisierung mit anderen. Die Spielräume Spezial folgen in zwei Sendungen den Entdeckungsreisen von Ostinato Records und erforschen diesmal die in der Diaspora geborenen hypnotischen Discosounds und die rebellische Funaná-Musik Kap Verdes nach der Unabhängigkeit im Jahr 1975.
«Die Zwetschgen gingen dort auf, wo ein Stein hingefallen war», erinnert sich Rosi Grieder-Bednarik an den verwilderten Garten des Bauernhauses, in dem sie seit 1976 lebt. Fünfzig wilde Zwetschgenbäume und herrlich schmeckende gelbe Kriecherl: «Hier bleibe ich!» Das Haus, das die Grafikerin mit ihrem damaligen Mann kaufte und renovierte, liegt in Hardegg an der Grenze zu Tschechien. — Rosi Grieder-Bednarik, geboren 1944, wuchs mit ihren Eltern und vier Geschwistern in der damals neu errichteten Künstlersiedlung Stadlau in Wien auf, der Vater Karl Bednarik war Maler und Schriftsteller. Rückblickend war es ein ländliches Leben mit vielen Freiheiten für ein Kind.
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