29.11.2022 – Fazit – WDR 3 – Klaus Walter — – Details
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Mykki Blanco
Die heikle HIV-Frage stammt von Mykki Blanco, der flamboyanten Transfrau, die hier und da immer noch gefeiert wird als «erster Rapper» des 21.Jahrhunderts mit Aids-Coming Out. Wir sammeln weitere Fragen und positive Antworten. — Zwei der tollsten, schillerndsten, auch widersprüchlichsten Pop-Alben der Saison kommen von Leuten, die HIV-positiv sind und auf diesen ihren Alben darüber reden, respektive singen. Mykki Blanco und Oliver Sim (The XX). Zu dieser steilen These haben wir uns durchgerungen, um den Welt Aids-Tag, der am 1.Dezember ansteht, aus der alljährlichen Gedenkroutine zu befreien. Die These suggeriert einen Kausalzusammenhang, den man weder leugnen noch bestätigen kann, ohne zu kurz zu greifen. Haben Blanco und Sim tolle Alben gemacht, weil sie darin von ihrem HIV-Status erzählen? Nein. Haben Blanco und Sim tolle Alben gemacht, obwohl sie von ihrem HIV-Status erzählen? Nein. Beide Alben, das der Schwarzen US-amerikanischen Transfrau Blanco und das des weißen, cis-männlichen Briten Sim verhandeln sexual politics auf diese, jene und fast jede Weise, und sie bedienen sich dabei künstlerischer Idiome und Attitudes, die seit Jahrzehnten zum Einsatz kommen, wenn Queer Folks expressiv über sich Auskunft geben, in dem Wissen, dass die straighte Mehrheitsgesellschaft mehr oder weniger interessiert oder auch mehr oder weniger angewidert zuschaut & -hört. Blanco und Sim präsentieren & performen geschminkte Körper wie geschminkte Stimmen (Pitch, Autotune, Vocoder), Hi Energy, Exzess, Maskerade, Camp. Transgressionen, die wir kennen aus Andy Warhols Factory, aus dem Queer Cinema des Jack Smith, den hyperexaltierten Hits von Sylvester, der Gay Black Diva (so der Titel seiner Biografie), und, quasi aus zweiter Hand angeeignet, von den Pop-Diven: Grace Jones, Madonna, Roisin Murphy, Beyoncé, Gaga… Ist Aids heute immer noch Kassengift? Da hilft ein Blick zurück. Auf Freddy Mercury, die flamboyante Vokal-Queen von Queen, der bis zum 23. November 1991 wartet, bevor er öffentlich macht, dass er an Aids erkrankt ist. Tags darauf ist er tot. Auf Michael Stipe. Der Sänger von R.E.M. muss 57 Jahre alt werden, ehe er erstmals öffentlich über seine Angst vor der Krankheit spricht. 2017 sagt er der englischen Zeitung The Sun: «Ich habe fast zehn Jahre lang mit der Angst gelebt, HIV zu bekommen. 1983 wurde von den ersten Fällen in New York berichtet – in den Vierteln, in denen ich den Großteil meiner Zeit verbracht habe.» Noch vor fünf Jahren also camoufliert der Sänger von R.E.M. die Tatsache, der er mutmaßlich promisken Sex im schwulen Sub Manhattans hatte, mit der verschwiemelt-verschämten Formulierung: Viertel, in denen ich Zeit verbracht habe. Nein, vom schieren Zeit verbringen kriegst du kein HIV, höchstens Covid. Stipe ist übrigens eine von vielen prominenten Stimmen auf «Stay Close To Music», dem neuen Album von Mykki Blanco. Mykki Blanco beansprucht als Transfrau die Pronomen she und they, was US-Kritiker nicht davon abhält, sie dafür zu loben, dass sie, äh, dass er, als «erster Rapper seit 1995» öffentlich über seine HIV-Infektion sprach. Noch immer ein Skandal im maskulinistischen HipHop. Damals war der Gangster-Rapper Eazy E. an Aids gestorben. Als Nachweis seiner weißen Heteroweste fehlt in keiner Biografie der Hinweis, dass Eazy E. Vater von sieben Kindern war. Von sechs verschiedenen Frauen.
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