24.02.2023 – News – Tagesschau – Philipp Jaklin — – Details
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Michael Rochlitz
Wie hart treffen die westlichen Sanktionen Russland? Der Ökonom Michael Rochlitz hält die Folgen für massiv – gerade in Zukunftsbranchen. Auch die Rüstungsbranche des Landes habe große Probleme, sagt der Experte im tagesschau.de-Interview.tagesschau.de: Immer wieder hat der Westen seine Sanktionen verschärft in diesem einen Jahr Krieg. Alleine die EU hat zehn Sanktionspakete auf den Weg gebracht. Es hat Einfuhrverbote gegeben, Exportbeschränkungen, Sanktionen gegen Banken, Oligarchen, den Flugverkehr, ein Ölembargo. Was hat Russland am härtesten getroffen?Michael Rochlitz: Zwei Arten von Sanktionen haben eine wichtige Rolle gespielt. Zum einen das Ölembargo und der Gaslieferungsstopp. Damit hat Russland seinen wichtigsten Absatzmarkt verloren, die EU – wahrscheinlich für immer. Russland versucht jetzt, sein Öl und Gas nach China zu verkaufen, nach Indien, in andere Märkte. Aber zum einen fehlt die Infrastruktur, man muss die Pipelines erstmal aufbauen. Zum anderen hat China jetzt eine ganz andere Verhandlungsbasis und kann niedrigere Preise durchsetzen.Die andere wichtige Sanktion ist der Exportstopp bei Hochtechnologie-Gütern. Russlands Wirtschaft hat ein bisschen so funktioniert: Man hat Öl und Gas exportiert und alles andere eingekauft. Das Land war deswegen sehr abhängig vom Import von Hochtechnologie-Gütern. Und die kommen jetzt nicht mehr, was in vielen Sektoren der russischen Wirtschaft zu großen Problemen führt. Man kann nicht mehr produzieren, gerade im Rüstungssektor.
Michael Rochlitz | Harald Rehling — Zur Person — Michael Rochlitz ist Professor für Volkswirtschaftslehre am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Universität Bremen. In seiner Forschung untersucht er die Funktionsweise autoritärer Wirtschaftssysteme, mit besonderem Fokus auf Russland und China. Von 2013 bis 2017 arbeitete er als Juniorprofessor an der renommierten Higher School of Economics in Moskau. — tagesschau.de: Wie groß ist der Schaden für die russische Wirtschaft insgesamt?Rochlitz: Der Schaden ist jetzt schon katastrophal und massiv, gerade in Zukunftsbranchen wie dem IT-Sektor. Hier hatte Russland eine Reihe von guten Konzernen, Yandex zum Beispiel, Kaspersky oder das soziale Netzwerk VKontakte. Da gab es wirklich Möglichkeiten, das Land zu diversifizieren.Die Frage ist: Was kommt nach Öl und Gas? Der IT-Sektor wurde ganz stark durch die Sanktionen getroffen und durch einen Braindrain. Mit der Mobilisierung sind viele Zehntausende, vielleicht sogar Hunderttausende hochqualifizierte Arbeitskräfte aus dem Land geflohen. Und die kommen wahrscheinlich auch nicht mehr zurück. Damit hat Russland im Prinzip die Tür zugeschlagen in diesem Zukunftsbereich.
— Michael Rochlitz, Wirtschaftswissenschaftler Uni Bremen, zu den Auswirkungen von Wirtschaftssanktionen12 Min — Michael Rochlitz, Wirtschaftswissenschaftler Uni Bremen, zu den Auswirkungen von Wirtschaftssanktionen — tagesschau24 12:00 Uhr, 24.2.2023 — Importe sind weggebrochentagesschau.de: Wie genau wissen wir eigentlich, wie es um die russische Wirtschaft steht? Kann man den offizielle Daten glauben?Rochlitz: Russlands Wirtschaft ist weniger stark geschrumpft als zuvor angenommen. Im Februar oder März 2022 dachte man, dass Russlands Wirtschaftsleistung im Jahr vielleicht um zehn bis 15 Prozent zurückgehen wird. Tatsächlich war es jetzt nur ein Minus von drei bis vier Prozent. Andererseits hat man Anfang 2022 noch mit einem Wachstum von ungefähr drei Prozent gerechnet. Zusammengerechnet kommt man also zu einem Wirtschaftsrückgang von sechs bis sieben Prozent im Jahr 2022.Russland hat es geschafft, am Anfang recht gut mit diesem Schock umzugehen. Wegen des Kriegs sind die Öl- und Gaspreise angestiegen, Russland konnte sein Öl und Gas viel teurer verkaufen. Es kam viel Geld in die Staatskasse. Gleichzeitig sind die Importe weggebrochen. Man hat also viel weniger importiert, viel weniger Geld ausgegeben und hatte große finanzielle Reserven.Und die wurden kurzfristig dafür verwendet, den ökonomischen Schock abzufedern. Zum Beispiel wurden Gehälter weiter gezahlt, der Rüstungssektor wurde massiv finanziell unterstützt. Und jeder gebaute Panzer, jede Granate, jede Rakete spiegelt sich in Wirtschaftswachstum wieder. Aber das hilft natürlich den Bürgerinnen und Bürgern in Russland nicht, wenn Panzer gebaut, in die Ukraine geschickt und da zerstört werden.
Blick auf den Kreml in Moskau. | REUTERS — ANALYSE — 22.02.2023 — Folgen für die Wirtschaft — Wie die Russland-Sanktionen wirken — Der Kreml frohlockt, ein Kollaps der russischen Wirtschaft sei ausgeblieben, trotz massiver Sanktionen des Westens. — Lebensstandard nähert sich Kuba oder Nordkorea antagesschau.de: Wo sind denn für die Menschen in Russland die Folgen der Sanktionen im Alltag am meisten spürbar?Rochlitz: Das ist tatsächlich ein bisschen das Drama: dass die Folgen der Sanktionen noch gar nicht richtig angekommen sind – weil der russische Staat die Möglichkeit hatte, Gehälter weiter zu bezahlen, und die Menschen nicht so richtig mitkriegen, dass ihnen die wirtschaftliche Zukunft genommen wird. Mittelfristig und langfristig werden die Folgen katastrophal sein. Russland hat im Prinzip jetzt schon wirtschaftlich den Anschluss verloren und kann nicht mehr mithalten mit den anderen großen Volkswirtschaften.Es wird in den nächsten Jahren zu einer langen Stagnation, zu einem langen Prozess des Verfalls kommen. Der Lebensstandard wird heruntergehen, sich annähern an Kuba, Venezuela, Nordkorea oder Iran. Und das ist sehr tragisch, weil Russland wirtschaftlich eigentlich so ein großes Potenzial hat. Das Land hätte das Potenzial, reich und glücklich zu werden: Eine tolle geographische Lage zwischen China und Europa, eine immer noch sehr gut ausgebildete Bevölkerung, ein großes Potenzial auch im Tourismussektor. All das wurde durch Putins Krieg zerstört.
Ursula von der Leyen und Wolodymyr Selenskyj | dpa — 02.02.2023 — Ukraine-Treffen in Kiew — EU verhängt neue Sanktionen gegen Russland — Neue Sanktionen, Ausweitung der Militärausbildung und mehr Geld zum Minenräumen – die EU sagt Kiew Unterstützung zu. — tagesschau.de: Auch für den Westen haben die Sanktionen einen Preis. Man sieht es an Konzernen wie BASF, die hohe Verluste hinnehmen müssen wegen ihres Russlandgeschäfts, an den sehr stark gestiegenen Energiepreisen. Aber gibt es irgendeinen Zweifel daran, dass der Schaden für Russland viel größer ist als für den Westen?Rochlitz: Nein, da gibt es keinen Zweifel. Der Westen ist für Russland viel wichtiger, als es Russland für den Westen ist. Natürlich war man eng mit Russland wirtschaftlich verflochten, und es ist schmerzhaft, diese Verflechtung aufzulösen. Aber der Westen kann das besser verkraften.Russland war schon immer ein Hochrisikomarkt, gerade wegen der unsicheren politischen Lage. Es kann durchaus sein, dass sich die politische Lage noch verschlechtert und es für ausländische Unternehmen fast unmöglich wird, dort noch aktiv zu sein. Deswegen war es vielleicht sogar zwingend, sich aus Russland zurückzuziehen.
LNG Tanker am Kai einer Anlage für verflüssigtes Erdgas in Russland. | picture alliance/dpa/TASS — 24.02.2023 — Energielieferungen — Europas Gasmarkt ohne Russland — Russlands Angriff auf die Ukraine hat schwere Turbulenzen am europäischen Gasmarkt verursacht. — Der Industrie fehlen die Bauteiletagesschau.de: Die Sanktionen sollten es Wladimir Putin zumindest erschweren, den Krieg zu finanzieren – ist das gelungen?Rochlitz: Man kann von zwei Zielen der Sanktionen reden. Das eine Ziel war, es für Russland wirtschaftlich schwieriger zu machen, den Krieg in der Ukraine zu führen. Das hat tatsächlich funktioniert. Es ist jetzt schon viel schwieriger als noch vor einem Jahr, zum Beispiel im Verteidigungssektor die Produktion aufrechtzuerhalten, weil Ersatzteile oder Bauteile fehlen. Die muss man jetzt kompliziert über Kasachstan oder andere Länder importieren. Das ist viel teurer und viel ineffizienter, als wenn man sie direkt auf dem Markt kaufen könnte.Das zweite große Ziel: Man wollte versuchen, die Bevölkerung in Russland zu überzeugen, sich vielleicht gegen das Regime oder gegen den Krieg zu stellen. Das hat wegen der russischen Propagandamaschine nicht funktioniert. Die meisten Menschen bekommen ihre Informationen aus dem staatlichen Fernsehen und sind tatsächlich davon überzeugt, dass Russland hier einen gerechten Krieg führt.
Robert Habeck | REUTERS — 23.02.2023 — Zehnpunktepapier — Habecks Plan gegen die Umgehung von Sanktionen — Ein Zehn-Punkte-Papier beinhaltet schärfere Bedingungen für Exporte in Drittstaaten. — Wie die Sanktionen umgangen werdentagesschau.de: Von Anfang an hat es Versuche gegeben, die Sanktionen zu umgehen. Wo sehen Sie aktuell die größten Schlupflöcher?Rochlitz: Es gibt das Problem der Parallelimporte. Hersteller verkaufen ihre Güter etwa nach Kasachstan, Armenien, Georgien, die Türkei oder vielleicht China. Und diese Drittländer verkaufen sie weiter nach Russland. Auf diese Art und Weise versucht man zum Beispiel, an Computerchips zu kommen. Das funktioniert noch einigermaßen, ist aber viel teurer und ineffizienter als der direkte Import.Gleichzeitig versuchen die EU und die USA, gegenzusteuern und auch diese Länder mit Sekundärsanktionen zu belegen. Da sehen wir auch schon erste Erfolge. Für Russland kann das also keine langfristige Lösung sein.tagesschau.de: Hat der Westen sein Repertoire bei den Sanktionen inzwischen ausgeschöpft?Rochlitz: Die Wirtschaftssanktionen sind tatsächlich schon massiv. Ganz wichtig ist jetzt, der Ukraine weiterhin langfristig und glaubhaft Unterstützung zuzusichern – dass man weiter Waffen liefert, vielleicht bessere Waffen, mehr Waffen. Man muss Russland signalisieren, dass dieser Krieg nicht gewonnen werden kann.Putins Taktik baut darauf, dass der Westen irgendwann ermüdet und einlenkt, wenn der Krieg Monat um Monat weitergeht, dass man die Ukraine dazu drängt, Friedensverhandlungen zuzustimmen und einen Teil ihres Landes abzugeben. Wenn man – wie Joe Biden in Kiew – signalisiert, dass Russland nicht damit rechnen kann, dass diese Unterstützung irgendwann aufhört, ist das meiner Ansicht nach die beste Möglichkeit, den Krieg irgendwann zu beenden.Das Gespräch führte Philipp Jaklin, tagesschau.de. Die schriftliche Fassung wurde redaktionell bearbeitet.
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