18.03.2023 – le week-end – Ö1 – Elke Tschaikner, Christian Scheib — – Details
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RSO Wien
Le week-end begleitet das RSO Wien auf einer virtuellen USA-Tournee und die amerikanische Chefdirigentin ist natürlich auch dabei.
Als im Jahr 1990 die Autokolonne mit Leonard Bernsteins Sarg langsam durch Brooklyn in Richtung Green-Wood Cemetery fährt, nehmen die Bauarbeiter am Straßenrand ihre gelben Helme ab und rufen: «Goodbye, Lenny». Es ist wie eine posthume Bestätigung dessen, was Leonard Bernstein gelebt hat. Kein anderer Musiker vor ihm hat so sehr verschiedenste musikalische und soziale Welten umarmt: Als einer der berühmtesten, klassischen Dirigenten des 20. Jahrhunderts, als Jazzliebhaber, als Komponist, als charismatischer Lehrer, als Präsentator im Fernsehen, als politischer Aktivist. Er wird von vielen ehrlich geliebt, weil er Vieles ehrlich liebt. Auch wenn er gerade deshalb nicht immer und von allen verstanden wurde. — Einmal hat Leonard Bernstein das RSO Wien auch dirigiert, als das ORF-Orchester in der Wiener Oper eingesprungen ist, um Bernsteins «A Quiet Place» zu spielen. Als die Dirigentin Marin Alsop zum ersten Mal das RSO Wien dirigiert – und niemand weiß damals, dass sie eines Tages die Chefdirigentin dieses Orchesters sein sollte – steht die 1. Symphonie von Leonard Bernstein auf dem Programm, immerhin Musik eines ihrer Lehrer. — Das RSO Wien in le week-end auf virtueller USA-Tournee und da gibt es unvermeidliche und unverwüstliche Fixsterne von Samuel Barber und Aaron Copland anzusteuern. «Semplice e bella»: Arturo Toscanini dirigiert 1938 die Uraufführung von Samuel Barbers Adagio in der Fassung für Streichorchester und trifft mit dieser Anmerkung ziemlich präzise den amerikanischen Geist einer Ästhetik von Raffinement und gleichzeitiger Massentauglichkeit. Nach der ersten Probe sagt Toscanini nämlich nur: «Einfach und schön.» Der Komponist Samuel Barber ist 28, er ahnt vielleicht schon, dass sein «Adagio for Strings» opus 11 in seiner perfekten Mischung aus Schönheit und Trauer alles überstrahlt, das er in seinem langen Leben noch komponieren wird. Ein scheinbar einfaches Stück für Streichorchester erobert die Welt und wird zu dem Adagio schlechthin. Als Franklin D. Roosevelts Tod im Radio verkündet wird, erklingt das Adagio. Als Albert Einstein und Grace Kelly, Prinzessin von Monaco, begraben werden, erklingt das Adagio. In Filmen von David Lynch und Oliver Stone, in Folgen der Simpsons und von South Park, erklingt das Adagio. Als Soundtrack zu Videospielen, gesampelt in Popsongs. Und immer noch ist es in aller stillen Raffinesse einfach Samuel Barbers Adagio: «Semplice e bella». — Aaron Copland war mit Orchesterwerken wie «Appalachian Spring», «Billy the Kid» oder «Rodeo» zum Gründervater einer nationalbewussten US-amerikanischen Musik geworden. Aaron Coplands Musik enthält Jazzeinflüsse und orchestrale Cinemascope-Landschaftsmalerei, offene Intervalle, klare Strukturen, einfache Rhythmen: Musik für alle Amerikaner, nicht nur für Bildungsbürger. «The Century of the Common Man» hatte Henry A. Wallace, Vizepräsident von Franklin D. Roosevelt, 1942 proklamiert. Aaron Copland schreibt noch im selben Jahr – im Propaganda-Auftrag des Cincinnati Symphony Orchestra – die Aufbruchsmusik dazu: «Fanfare for the Common Man». — Die amerikanische RSO Wien Chefdirigentin Marin Alsop zeigt uns mit Werken von Charles Ives – das ebenfalls unverwüstliche, wenn auch gänzlich anders und unglaublich behutsam Fragen stellende Stück «The Unanswered Question» – und mit auf gänzlich andere Weise unverwüstlicher Musik von John Adams die ganze musikalische Bandbreite der Musik ihrer Heimat.
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