Der große Textschrauber und Theaterdichter Lothar Trolle ist tot

31.03.2025NewsBerliner ZeitungUlrich Seidler —   –  Details

Lothar Trolle

Lothar Trolle ist ein Gewächs des Theaters und seiner Kantinen, sein Stück «Hermes in der Stadt» verhalf Castorf zum Durchbruch. Nun ist er mit 81 Jahren gestorben. Der Nachruf.

Lothar Trolle sprach leise, mit selten schönem Sachsen-Anhalter Singsang, und nach jedem zweiten Satz kicherte er über das Gesagte, ohne sein Gesicht auch nur um Haaresbreite zu verziehen. Oder er kommentierte es mit den Worten: «Ist doch toll, oder?» Nicht, weil er über seine Formulierungen so froh war, sondern weil er mit ihnen eine Entdeckung nach der anderen machte. Sein literarisches Wahrnehmungswesen knabberte und hebelte mit Begriffen und Kontexten an der Wirklichkeit herum, verschob sie um das eine oder andere Millimeterchen, rückte sie in eine andere Farbe oder Deutlichkeit. Sein Schreiben war Spiel und Handwerk, Bohrung und Sammlung. — In das Gesagte packte er immer noch etwas mehr Welt hinein. In manchen seiner Texte machte er einen so schonungslosen wie unerschöpflichen Gebrauch von Parenthesen, in die er immer mehr Untergedanken und Nebenaspekte hineinzimmerte, bis seine Perioden sich über Seiten streckten und zu einem Konglomerat verdichteten, das der hier nachrufende Redakteur ohne Werkzeug kaum aufgedröselt kriegte, bis er voll beseeltem Vertrauen die Waffen streckte und den Aufnahmeflow genoss. — Der Meister der Parenthese Trolle missachtete, so gut es ging, die Sukzessivität der Sprache, verzahnte das Nacheinander von Ursache und Wirkung und quetschte alles Chronologische in den dramatischen Augenblick. Es gibt Texte, in denen er bis zu sieben Klammern aufmachte und irgendwann auch wieder schloss. Es ist also gar nicht so leicht zu verstehen, dass Lothar Trolle, wie die Berliner Zeitung aus dem engen Umfeld des Schriftstellers erfahren hat, in der Nacht zu Montag gestorben ist. Dass sogar Lothar Trolle ein Leben geführt haben soll, das an ein Ende gelangt ist und in das er nun nichts mehr einfügen wird. Dass nicht einmal für einen wie ihn eine Ausnahme gemacht wird.

Lothar Trolle, geboren im Mansfelder Brücken bei Sangerhausen, wo er mit dem künstlerisch verwandten Theatermenschen Einar Schleef zur Schule ging, machte Abitur und eine Ausbildung zum Handelskaufmann. Es verschlug ihn nach Berlin, wo er am Deutschen Theater als Transportarbeiter und Bühnentechniker arbeitete und von 1966 bis 1970 bei Wolfgang Heise Philosophie studierte. Danach lebte er als freischaffender Autor – eine gar nicht so seltene Existenz zwischen allen Registraturen der sozialistischen Planwirtschaft. In der kapitalistischen Nachwendezeit war sie allerdings nicht so leicht aufrechtzuerhalten und musste mit Stipendien, Preisen und ein paar Hausautorenstellen an verschiedenen Theatern unterfüttert werden. — In den Achtzigern gab Trolle zusammen mit Uwe Kolbe und Bernd Wagner die Literaturzeitschrift Mikado heraus, wurde Vater zweier Kinder, war und blieb ein Gewächs aus den Tiefen des Theaters und seiner Kantinen, wo sich zu DDR-Zeiten kleine dunkle Inseln des weitgehend freien, oft auch bedröhnten Austauschs bildeten, glühende Geistesnischen, aus denen es störend und lüftend in die real existierende sozialistische Welt herüberblitzte. Die sind heute weitgehend erloschen und viele Protagonisten sind längst vergessen, ohne sich etwas daraus zu machen.( (…)

Bibelstoff in Lichtenberg Einprägsam war seine Gegenwartsadaption der Weihnachtsgeschichte «Leuchte Berlin, leuchte!», in der eine Flüchtlingsfamilie samt Esel die Landsberger Allee entlangzieht auf der Suche nach einem Obdach für die Nacht. Da bekommen zugige Eingangsbereiche in Plattenbauten, der Berliner Nieselwinter und die Asozialität der Angst biblische Wucht. — Gerade hat Corinna Harfouch, eine der Schauspielerinnen, die über die nötigen Hirnkapazitäten für Trolle-Texte verfügt, auf der Leipziger Buchmesse aus seiner letzten Veröffentlichung gelesen. Jan Hein hat Trolles nach 2006 entstandenes Werk herausgegeben, in drei Bänden. Die Nachwelt hat noch Berge von Trolle-Material für beglückend viel Liebesmühe übrig, das Kichern muss man sich beim Lesen von nun an dazudenken.

 
 

SK-news