11.04.2025 – News – Berliner Zeitung – Alan Toyne — – Details
Slavoj Zizek
Die Politik der USA stürzt die Welt ins Chaos: Ist ein dysfunktionales Trump-Regime besser als ein neues Feudalregime unter der Herrschaft von Robotern wie J.D. Vance? Ein Gastbeitrag.
Liberale Kritiker werfen Trump regelmäßig vor, dass sein Führungsstil diktatorisch sei und von improvisierten, unvorhersehbaren Entscheidungen geprägt: Trump verhängte den Ausnahmezustand, der es ihm erlaubt, per Dekret zu regieren und dabei Kongress und Senat sowie Debatten mit Mitgliedern seiner eigenen Partei zu umgehen. Es ist richtig, dass er wie ein Monarch regiert, aber ich glaube nicht, dass dieses das Hauptproblem ist – das Problem ist die Art der Maßnahmen, die er verhängt. In unserer Zeit, in der die herkömmliche liberale Mehrparteiendemokratie immer wieder ihre Unfähigkeit unter Beweis stellt, mit den katastrophalen Aussichten fertig zu werden, mit denen wir alle konfrontiert sind, und in der immer mehr Menschen sich in eine apolitische Depression flüchten, wird eine diktatorische Figur, ein neuer Meister, benötigt. — «Der Meister ist derjenige, der dem Individuum hilft, Subjekt zu werden. Das heißt: Wenn man zugesteht, dass das Subjekt in der Spannung zwischen Individuum und Allgemeinheit entsteht, dann ist es offensichtlich, dass das Individuum eine Vermittlung und damit eine Autorität benötigt, um auf diesem Weg voranzukommen. Die Krise des Meisters ist eine logische Folge der Krise des Subjekts. Man muss die Position des Meisters erneuern; es ist nicht wahr, dass man ohne ihn auskommen kann, selbst und gerade in der Perspektive der Emanzipation. Diese zentrale Funktion von Führungspersönlichkeiten ist nicht mit dem vorherrschenden ‹demokratischen‹ Klima vereinbar, weshalb ich einen erbitterten Kampf gegen dieses Klima führe (schließlich muss man mit der Ideologie beginnen).» (Alain Badiou, Elisabeth Roudinesco, «Appel aux psychanalystes. Entretien avec Eric Aeschimann», in: Le Nouvel Observateur, 19. April 2012.) — Sehnsucht nach Führung: Die Mehrheit möchte passiv seinWir müssen diese Tatsache voll und ganz akzeptieren: Auf uns allein gestellt sind wir nicht frei, sondern Sklaven unserer spontanen, von den Massenmedien manipulierten Vorurteile. Ein Meister wird benötigt, nicht so sehr, um uns zu sagen, was wir wollen oder was wirklich gut für uns ist, sondern um eine einfache Botschaft zu vermitteln: «Du kannst!» Du kannst über dich selbst hinauswachsen und das scheinbar Unmögliche erreichen. Die große Mehrheit – mich eingeschlossen – möchte passiv sein und sich einfach auf einen effizienten Staatsapparat verlassen, der das reibungslose Funktionieren des gesamten gesellschaftlichen Gefüges garantiert, damit man in Ruhe seiner Arbeit nachgehen kann. Walter Lippmann schrieb in seinem Werk «Public Opinion» (1922), dass die Masse der Bürger von einer «spezialisierten Klasse regiert werden muss, deren Interessen über die lokale Ebene» hinausgehen – diese Eliteklasse soll als Wissensapparat fungieren, der den grundlegenden Mangel der Demokratie umgeht: das unmögliche Ideal des «allkompetenten Bürgers».
So funktionieren unsere Demokratien – mit unserem Einverständnis. Lippmanns Aussage ist kein Mysterium, sie ist eine offensichtliche Tatsache; das Mysterium besteht darin, dass wir, obwohl wir es wissen, das Spiel mitspielen. Wir handeln, als wären wir frei und würden frei entscheiden, während wir stillschweigend nicht nur akzeptieren, sondern sogar fordern, dass ein unsichtbarer Imperativ (diese Regeln oder Strukturen sind tief in das Konzept der Meinungsfreiheit eingebettet) uns vorgibt, was wir tun und denken sollen. Deshalb vertritt ein guter Politiker nicht nur die Interessen des Volkes: Durch ihn entdeckt das Volk, was es «wirklich will». Damit die Individuen «über sich selbst hinauswachsen», aus der Passivität der repräsentativen Politik ausbrechen und sich als direkte politische Akteure engagieren können, ist der Bezug auf einen Führer notwendig – einen Führer, der es ihnen ermöglicht, sich wie Baron Münchhausen aus dem Sumpf zu ziehen. (…)
SK-news