08.04.2025 – News – Berliner Zeitung – Ulrich Seidler — – Details
Kulturpalast Bitterfeld-Wolfen
Der von Arbeiterhand errichtete neoklassizistische Bau droht mehr und mehr zu zerfallen. Jetzt soll er mit Strukturwandelmitteln zur Musicalbühne ertüchtigt werden.
Der Bitterfelder Kulturpalast soll eine Musicalbühne werden, die Ertüchtigung des 1954 eingeweihten DDR-Baudenkmals wäre dafür auch aus dem Strukturwandelfonds im ehemaligen Industrie- und Braunkohlegebiet zu finanzieren. Dies ist laut einer Meldung des MDR der bekundete Wille der Stadt. Was noch fehlt, sind die Zustimmungen von Land und Bund sowie ein finanzkräftiger Privatinvestor, der an eine Zukunft des Hauses glaubt. — Der Kulturpalast mit seinen 1200 Plätzen blickt auf eine Geschichte von utopischen Hoffnungen und bitteren Enttäuschungen zurück. 5000 Arbeiterinnen und Arbeiter aus den umliegenden Werken und Tagebauen leisteten 300.000 Arbeitsstunden nach Feierabend, um 1952 das Gebäude zu errichten und später in Beschlag zu nehmen. — 60 Laienkunstzirkel waren in seinen 240 Räumen beheimatet. 2000 Mitglieder übten sich kostenlos in Theaterspiel, Volkstanz, Malerei, Fotografie oder Handarbeiten. Durch seine Räumlichkeiten führte der Bitterfelder Weg, der das künstlerische Potenzial des Proletariats bergen und zur Blüte bringen wollte, mit der Losung: «Greif zur Feder, Kumpel!» — Nach der Wiedervereinigung ließ das Publikumsinteresse nach, das Gebäude wurde 1993 als Teil des Chemie-Park-Konvoluts an den Unternehmer Heinz-Jürgen Preiss-Daimler verkauft und immer seltener genutzt. 2016 schloss es seine Pforten. — Heute erscheint das Gebäude überdimensioniert für ein locker bebautes Gewerbegebiet im Speckgürtel von Leipzig. Zuletzt erlebte es im Sommer vor zwei Jahren seine temporäre Wiedereröffnung und Bespielung durch das Osten-Festival, das auf großes Interesse stieß, allerdings überschattet war vom Unfalltod des letzten Palast-Käufers, des aus der Gegend stammenden Unternehmers Matthias Goßler, kurz vor der Eröffnung.
Er hatte viele Pläne und Visionen, die nicht nur, aber auch in Richtung Musicalbühne gingen und die seitdem seine Witwe Andrea Goßler mit geringen Aussichten auf Erfolg zu verwirklichen versucht. Ihr hatte er die Liegenschaft noch zu Lebzeiten mit den Worten überantwortet: «Andere Männer schenken ihren Frauen Häuser, ich schenke dir einen Palast.» — Ins Feld geführt werden die gute Zuganbindung und die Erreichbarkeit sowohl mit dem ICE als auch von Leipzig aus mit der S-Bahn. Die Stadt erhofft sich von der kommerziellen Nutzung der erst steingewordenen und dann bröselnden Utopie einen Imagegewinn und Arbeitsplätze in der Gastronomie und im Bereich Tourismus. Vielleicht sollte man das ursprüngliche Konzept der Mehrfachnutzung mit verschiedenen Zwecken von der Messe über die Tagung bis zu Zirkeln nicht aus den Augen verlieren. Denn zur Idee des Hauses gehörte auch, dass es denen gehört, die es gebaut haben. Es wäre also gut, wenn deren Kinder und Enkel, die die Gegend noch nicht verlassen haben, es weiter nutzen können. Die berühmte Kellerbar ist allerdings nicht mehr zu retten, sie wurde mit Beton verfüllt, weil verseuchtes Grundwasser einzudringen drohte.
SK-news