21.03.2025 – News – The New York Times – Steven Erlanger — – Details
Deutsches Parlament
Kein anderes Land Europas ist so sehr ein Produkt der aufgeklärten amerikanischen Nachkriegsdiplomatie. Nun, da es orientierungslos ist, hat es begonnen, sich mit einer neuen Welt auseinanderzusetzen. — Am Dienstag stimmten die deutschen Parlamentarier für eine Lockerung der Schuldenregeln des Landes, damit das Land mit der Sanierung seiner Wirtschaft und dem Wiederaufbau seines Militärs beginnen kann.
Die Vereinigten Staaten gaben Deutschland seine Demokratie und seine Verfassung. Sie unterstützten die deutsche Wiedervereinigung, als Frankreich und Großbritannien Zweifel hatten. Sie haben rund 35.000 Soldaten in Deutschland stationiert, die sich der Verteidigung Europas widmen. — Doch Präsident Trump und seine Regierung betrachten Europa inzwischen als Gegner, die NATO als Belastung und Russland als Freund. Vizepräsident JD Vance und Elon Musk unterstützen eine rechtsextreme Partei mit Neonazi-Mitgliedern, die die deutsche Regierung untergraben will und Russlands Ziele in der Ukraine unterstützt. — Deutschland fühlt sich, vielleicht mehr als jedes andere Land in Europa, von seinem engsten Verbündeten verlassen, verwaist und sogar verraten. Doch auch wenn die Deutschen aus dem Nest gedrängt wurden, beginnen sie nun zu reagieren: Sie befinden sich in tiefer Selbstreflexion und fragen sich, wie die Zukunft aussehen wird – sowohl ihre eigene als auch die Europas. — Das deutlichste Anzeichen dafür, dass der Schock nun Taten folgen lässt, gab es diese Woche, als der Deutsche Bundestag dafür stimmte, die lange Schuldenaversion Deutschlands zu lockern, damit das Land mit dem Wiederaufbau des Militärs und der vernachlässigten heimischen Infrastruktur beginnen kann. — Angesichts der Tabus, die der deutsche Militarismus mit sich bringt, war dies ein bahnbrechender Schritt. Dennoch wissen die Deutschen und andere Europäer, dass sie diesen Schritt gehen müssen, um sich an die neue Feindseligkeit sowohl aus Russland als auch aus den USA anzupassen. — Joschka Fischer, ein ehemaliger Außenminister, in jungen Jahren ein radikaler Linker und heute ein führendes Mitglied der Grünen, sagte: «Ich hatte immer ein kompliziertes Verhältnis zu den Vereinigten Staaten, das alles andere als perfekt war, aber die USA waren immer die leuchtende Stadt auf dem Hügel.» — «Aber jetzt», sagte er, «haben wir nicht nur die Macht verloren, die uns beschützte, sondern auch den Leitstern am Himmel.» — Europa müsse als Reaktion darauf aufrüsten, sagte er. Die deutsche Führung sei dafür unerlässlich, obwohl viele auf dem Kontinent weiterhin darauf beharren, dass die Europäer, wie Fischer es formulierte, «ihr enges Bündnis mit den USA fortsetzen und gleichzeitig so stark wie möglich werden müssen, um Russland abzuschrecken». — Er sieht wie viele andere eine Phase der Verwundbarkeit, bevor Europa besser für sich selbst sorgen kann. (…)
Auch Herr Techau befürchtet, dass bei einer Abkehr von der integralen Einbindung der USA in die europäische Sicherheit «ein offenes Fenster der Verwundbarkeit» bestehe. — «Wenn wir einen schmutzigen Deal mit der Ukraine abschließen und der Handelskrieg eskaliert, wenn Putin einen hybriden Krieg in Deutschland sondiert oder eskaliert und wenn Trump beschließt, einige amerikanische Truppen abzuziehen», sagte Techau, «dann wird den Leuten langsam klar, dass wir als nichtnukleare Macht allein da draußen und allein in Europa sind.» — Natürlich würde ein Bruch mit Washington auch für manche Deutsche ein Gefühl der Befreiung bedeuten. Es gab immer Konservative, die wie Herr Vance der Meinung waren, dass Amerika als Leuchtturm der Moderne zu disruptiv sei; auf der Linken gab es den Wunsch, dem kapitalistischen Giganten zu entkommen. — Bei der Bundestagswahl im vergangenen Monat wählten mehr als 34 Prozent der Deutschen Parteien mit ausgeprägter antiamerikanischer Haltung. Und in einer Umfrage in diesem Monat gaben nur 16 Prozent der Deutschen an, den USA als Verbündeten zu vertrauen, verglichen mit 85 Prozent in Frankreich und 78 Prozent in Großbritannien. Rund 10 Prozent gaben an, Russland zu vertrauen. — Die Deutschen debattieren gern und zögern Entscheidungen hinaus, handeln dann aber mit Gründlichkeit, sagt JD Bindenagel, ehemaliger amerikanischer Botschafter in Deutschland und Dozent an der Universität Bonn. — «Die Deutschen fühlen sich im Stich gelassen und betrogen. Sie wissen, dass sie sich nicht wehren können und nicht sofort weggehen können», sagte er. «Aber wenn das Vertrauen einmal gebrochen ist, ist es schwer, es wiederherzustellen. Sie werden nicht zurückgehen.»
SK-news