19.03.2025 – News – The Guardian – Martin Kettle — – Details
Europa Trio
Meinung / Großbritannien, Frankreich und Deutschland schließen die Reihen, um die Nato zu stärken, während der unzuverlässige US-Präsident seinen eigenen Weg geht. — Ein Atlantisches Bündnis ohne die USA? Es klingt wie ein Widerspruch in sich – Hamlet ohne den Prinzen. Doch genau in dieser unwahrscheinlichen, zersplitterten Welt leben wir heute. In dieser Welt werden unsere Kinder und Enkel leben. Ob es uns gefällt oder nicht, der von Donald Trump ausgelöste Systemschock ist unsere neue Realität. Daran hat auch Trumps jüngstes Telefonat mit Wladimir Putin am Dienstag nichts geändert.
Die Unterstützung und Bewaffnung der Ukraine bleibt mit Abstand der wichtigste Punkt auf Europas Agenda und zugleich ihr unmittelbarstes Ziel. Eine möglichst enge Bindung an die USA bleibt weiterhin von grundlegender Bedeutung, ungeachtet der Wünsche von Trumps arroganten Kritikern. Unbestritten hat Trump die Europäer innerhalb der Nato auf eine Weise überrascht, die niemals hätte passieren dürfen und die die Verantwortlichen in einem äußerst schlechten Licht erscheinen lässt. Die amerikanische Macht bleibt vorerst unverzichtbar, aber unzuverlässig. — Dennoch zeichnet sich auch eine nachhaltigere und stärker europabetonte Neugestaltung des westlichen Bündnisses ab. Derzeit ist das meiste, was geplant wird, entweder improvisiert mit vorhandenen Ressourcen oder ambitioniert. Doch die Umrisse eines neuen atlantischen Bündnisses lassen sich inmitten diplomatischer Videokonferenzen und hochtrabender Versprechen erkennen: eine Art NATO-Minus, unterstützt von den meisten europäischen Ländern, Großbritannien eingeschlossen, potenziell plus Kanada, wobei die Rolle der USA ungewiss ist. — Die Nato bleibt das Grundgerüst, selbst wenn Trump sich zum Rückzug entschließt. Diese Anpassungsbemühungen werden von einem unwahrscheinlichen Trio geprägt: einem konservativen deutschen Kanzler, der sich von der bisherigen Orthodoxie abwendet; einem zentristischen französischen Präsidenten, der gerade seine eigene Machtbasis zerstört hat; und einem britischen Premierminister, der über die kleinste britische Armee seit den Napoleonischen Kriegen verfügt. Dennoch liegt Europa in ihren Händen. Sie sind die Mannschaft, die wir aufs Feld schicken können. — Die Unvermeidlichkeit des Wandels wurde durch Trumps 90-minütiges Telefongespräch mit Putin am Dienstag entscheidend unterstrichen. Jeder Gedanke, dass Trump Putin irgendwie zu einer Änderung seiner Ukraine-Politik bewegen könnte – oder dass Trump dies überhaupt wollte –, war stets eine Illusion. Alles, was Putin jemals über die Ukraine gesagt hat, beweist, dass er sie als russisches Territorium betrachtet. Die Bedingungen, die er Trump stellte, laufen auf die Forderung hinaus, die Ukraine einem russischen Angriff und einer Annexion schutzlos auszusetzen. Dieser Angriff wurde auch diese Woche unvermindert fortgesetzt. — Dies stellt Trumps Behauptungen, ein Friedensstifter zu sein, in Frage. Doch diese Blamage, so nützlich sie auch für diejenigen sein mag, die ihn zügeln wollen, dürfte nur vorübergehend sein. Trumps strategischer Wunsch ist es, die militärische und finanzielle Unterstützung der USA für die Ukraine zurückzuziehen, vorzugsweise im Zuge einer Friedensregelung, die er als einzig und allein durch sein Genie hätte herbeiführen können. Sein längerfristiger Ansatz gegenüber Europa ist jedoch lediglich eine Fortsetzung dieser Ungeduld gegenüber der Ukraine. Sein Ziel ist es, die US-Unterstützung für die europäische Verteidigung generell zurückzuziehen. — Europas hektische Reaktion auf Trumps Rückkehr an die Macht war zunächst von der Dringlichkeit getrieben, die Unterstützung für die Ukraine aufrechtzuerhalten. Der Schwerpunkt lag dabei auf diplomatischen Fragen: Die US-Militärhilfe und Geheimdienstinformationen sollten aufrechterhalten werden, die beschädigten Verbindungen zwischen Washington und Kiew sollten gestärkt werden, man sollte in aller Stille mit Trump und Wolodymyr Selenskyj zusammenarbeiten, um die Ukraine zu ermutigen und abzuschrecken, und gleichzeitig öffentlich einen größeren Teil der Sicherheitslast übernehmen. (…)
Deutschland ist nach wie vor die notwendige Nation für jede europaweite neue politische Initiative. Doch nun hat die Abstimmung im Bundestag fast schlagartig die lange Zeit vorgeschobene Ausrede widerlegt, hinter der sich einige europäische Staaten angesichts der offensichtlich unzureichenden europäischen Verteidigungsinvestitionen versteckten. Die Ära der nach innen gerichteten europäischen Verleugnung der russischen Lage und der Verteidigungsausgaben ist vorbei, und der frische Wind der Wahrheit weht durch einst fest verschlossene Fenster. — Dies ist ein guter und überfälliger Moment, nicht zuletzt, weil die Gefahr real ist, sondern auch, weil es diesem Kontinent ein stärkeres einigendes Ziel verleiht als seit dem Kalten Krieg. Doch die Risiken sind unbestreitbar. Die europäische Geschichte ist voll von erschreckenden Beispielen internationaler Allianzen, die den Kontakt mit einem entschlossenen Feind nicht überstanden haben. Eine Lehre der 2020er Jahre ist, dass Dinge, die viele für überholt hielten – darunter Epidemien, Nationalismus, territoriale Landnahme und charismatische Tyrannen – mit voller Wucht zurückgekehrt sind. — Heute, konfrontiert mit einer aggressiven Tyrannei und den isolationistischen USA, versuchen die europäischen Nationalstaaten, darunter auch Kanada, die moralische und politische Neuordnung der Welt nach 1945 aufrechtzuerhalten. Hier finden sich Anklänge an die Konflikte von 1914 und 1939. Auch damals war Europa in Kriege verwickelt (mit maßgeblicher kanadischer Beteiligung), aus denen die isolationistischen USA fernblieben. In beiden Fällen erwiesen sich die USA als entscheidende Nation für den Sieg und die Nachkriegsordnung. Heute jedoch marschieren die USA nach einer deutlich unzuverlässigeren Pfeife. —
SK-news