Fotograf Roger Melis in Berlin: Ein Menschenleser

10.09.2024NewsFrankfurter RundschauRoger Melis — Ingeborg Ruthe —   –  Details

Nina Hagen

Nina Hagen, um 1968. Foto: Nachlass Roger Melis — Von Anna Seghers bis Wolf Biermann: Faszinierende Porträts des Fotografen Roger Melis. Roger Melis sagte einmal, er wolle «eindringliche Bilder von Menschen schaffen, möglichst in ihrem natürlichen Lebens- und Arbeitsumfeld“, und ihnen dabei nicht die Seele rauben, sondern sich ihnen behutsam nähern. Das Annähern, das Aufbauen von Vertrauen war seine Methode, seine «künstlerische Praxis“, wie es heute auf Kuratorensprech gern heißt. — Für Roger Melis (1940–2009) war es mehr, nämlich seine Lebenshaltung, gegenwärtig ablesbar an den Wänden der Galerie Pankow. Der Berliner Autorenfotograf war ein zutiefst empathischer Menschenbeobachter und «Leser» ihres Wesens. Er hinterließ eine stille, unsentimentale Innenschau des DDR-Alltags und gab Einblicke in das Leben kleiner und prominenter Leute gleichermaßen.

Wie nur wenige andere hat der Berliner Fotograf seit dem Anfang der 1960er Jahre ostdeutscher Literatur, Theater, Film und Bildkunst ein Gesicht gegeben in seinen «Künstlerporträts» – das sind Porträts von mehr als 500 Kunst- und Kultur-Persönlichkeiten des deutschen Ostens. Wer an Helene Weigel, Johannes Bobrowski, Heiner Müller, Thomas Brasch, Christa Wolf denkt, oder an Robert Havemann, Peter Huchel, Franz Fühmann, Volker Braun und Manfred Krug, sieht oft Melis’ Bilder vor sich. Ebenso die Maler und Bildhauer aus Prenzlauer Berg, die der «Berliner Schule» wie Metzkes und Strawalde und die Kunstrebellen der 1980er Jahre vor dem Mauerfall, so Sabina Grzimek, Susanne Rast, Rolf Biebl, Klaus Killisch und Micha Diller. In den Gesichtern Skepsis und Resignation, aber auch Stolz, Widerspruchsgeist. Und Sehnsüchte. Nach der großen, weiten Welt.

Auf gepackten Umzugskisten Roger Melis gelangen ikonische Aufnahmen wie die der erschöpften Anna Seghers, des Liedermachers Wolf Biermann als «preußischer Ikarus» auf der Weidendammer Brücke in Berlin, des Zigarren schmauchenden Bildhauers Werner Stötzer in seinem kargen Atelier und des in den Dresdner Fucik-Hallen bei der IX. Kunstausstellung der DDR kurz mal auf einer Bank eingeschlafenen Fotografenpaares Sybille Bergemann und Arno Fischer. Oder von der Lyrikerin Sarah Kirsch, wie sie auf gepackten Umzugskisten sitzt – bereit zur Ausreise in den Westen. Erstmals zu sehen ist eine – auch als Buch erschienene – Serie mit Porträts von «Thea“, seiner Lebenspartnerin, der gefeierten Modejournalistin Dorothea Melis. — Melis, Kind eines Bildhauers und Ziehsohn des Lyrikers und «Sinn und Form“-Redakteurs Peter Huchel, war in jungen Jahren als «Moses» zur See gefahren, ehe er das fotografische Handwerk erlernte und einer der wichtigsten Fotografen Ostdeutschlands wurde. Doch viele seiner Aufnahmen für DDR-Magazine wurden nicht veröffentlicht und als «Müllkastenfotografie» geschmäht. Wegen eines gemeinsamen «Geo“-Beitrags mit Erich Loest durfte er ab 1981 nicht mehr für die DDR-Presse arbeiten. — Gewiss wäre Roger Melis damit sehr einverstanden, dass sein Nachlass, so liebevoll wie kennerisch betreut von seinem Ziehsohn und Nachlassverwalter Mathias Bertram, komplett an die Berliner Akademie der Künste (AdK) geht: Originale seiner bekannten Aufnahmen, mehr als 900 Abzüge, darunter 700 eigenhändige, Negative, Arbeitsbücher und die gesamten Korrespondenzen.

 
 

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