Michel Friedman tritt aus der CDU aus / Beklagt ‹ katastrophale Zäsur›

30.01.2025NewsARD TagesschauWolfgang Türk und Franco Foraci —   –  Details

Michel Friedman

Nach der gemeinsamen Abstimmung von Union und AfD im Bundestag verlässt Michel Friedman die CDU. Der Publizist jüdischen Glaubens sprach von einer “katastrophalen Zäsur” und einem “unentschuldbaren Machtspiel”.

Es ist erst gute drei Monate her, da rechnete ein zorniger Michel Friedman im Landtag mit den anwesenden AfD-Abgeordneten ab. “Geistige Brandstifter” nannte er sie. Wer ein Mensch, wer Deutscher sei – das maßten sie sich als “billige Imitationen” jener Nazi-Herrenmenschen an, vor denen der Unternehmer Oskar Schindler einst 1.200 Juden gerettet habe.Nun geht der Frankfurter Publizist jüdischen Glaubens mit einer Partei hart ins Gericht, deren Abgeordnete ihm damals im Stehen applaudierten. Es ist seine eigene, die CDU. Oder besser: Es war sie. Der 69-Jährige hat am Donnerstag gegenüber dem hr angekündigt, aus der Union auszutreten. Für sie gehörte er Mitte der 1990er Jahre dem Bundesvorstand an.Grund ist, dass die CDU/CSU-Fraktion in Berlin mit Hilfe der AfD einen Antrag zur Verschärfungen des Asylrechts durchgebracht hat. Friedman nennt das “eine katastrophale Zäsur für die Demokratie der Bundesrepublik” und ein “unentschuldbares Machtspiel”.Ein Novum im BundestagDie Abstimmung war die allererste im Bundestag, bei der die AfD als Mehrheitsbeschafferin diente. Das gleiche Novum bahnt sich am Freitag mit einem Gesetzentwurf an, der konkrete Regelungen zur Eindämmung der Migration enthält.Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hatte vor Wochen noch kategorisch ausgeschlossen, Anträge einzubringen, die CDU und CSU nur mit der AfD durchbringen können. Nach der Messerattacke von Aschaffenburg, bei der ein kleiner Junge und ein Mann getötet worden waren, änderte er seine Linie.”Büchse der Pandora” geöffnetEr glaube Merz zwar, dass er mit der AfD nicht koalieren wolle, sagte Friedman. Aber die “Büchse der Pandora” zur Normalisierung der AfD sei mit der jüngsten Abstimmung ausgerechnet auf Bundesebene geöffnet. Das werde sich auch auf die Politik in Städten und Gemeinden auswirken.Friedman wörtlich: “Die Naivität derjenigen, die bei der CDU uns erklären wollen, dass das alles ja nicht gewollt war, dass man deren Stimmen gar nicht haben wollte, ist so unterkomplex, dass man da gar nicht mehr hinhören kann.”Die Stimmen der AfD bezeichnete der Publizist als vergiftet, weil die Partei nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehe. Das vergifte nun auch die Union.Rhein bleibt auf Merz-LinieAlle hessischen CDU-Bundestagsabgeordneten hatten am Mittwoch dem nur mit Hilfe der AfD durchgesetzten Entschließungsantrag zugestimmt. Einzig eine Abgeordnete aus dem thüringischen Weimar scherte aus der Fraktion aus. Aus der hessischen CDU-Landesgruppe in Berlin war auch vor der Abstimmung am Freitag keine Kritik zu hören.Das gilt auch für die Hessen-CDU und ihre Landtagsfraktion. Vielmehr verteidigte Hessens Ministerpräsident Boris Rhein, der auch Landesvorsitzender der Partei ist, das Vorgehen in der Asylpolitik noch einmal. Es sei “sehr wichtig und sehr richtig, dass die Union im Deutschen Bundestag ihre Positionen zur Abstimmung gestellt hat”, sagte er dem hr.Einen Tag vor der zweiten Abstimmung in Berlin sagte Rhein: “Jetzt müssen wir diese Fragen natürlich auch noch im Gesetz verankern. Das wird jetzt passieren.” Einen Bruch der Brandmauer zur AfD bestritt er erneut. Es gebe keine Zusammenarbeit.So hatte sich Rhein bereits nach Bekanntwerden des Vorstoßes von Merz geäußert. Wie der CDU-Kanzlerkandidat weist er die Schuld an der Entwicklung den Berliner Regierungsparteien SPD und Grünen zu. Alle Parteien der Mitte stünden in der Verantwortung, die nötige Wende in der Asylpolitik einzuleiten.Der Asylstreit stellt die seit einem Jahr bestehende Koalition von CDU und SPD in Hessen vor eine Belastungsprobe. Was die CDU am Freitag beschlossen haben möchte, braucht später noch grünes Licht vom Bundesrat. Das stünde nach derzeitigem Stand bei einer Sitzung im März an.Heftigste Reaktionen aus der SPD zeigen, dass es von ihr für die von Merz und Rhein gewünschte Richtung keine Zustimmung geben dürfte. Im Koalitionsvertrag steht, dass Hessen sich bei Uneinigkeit der Regierungspartner im Bundesrat enthält.Hessen-SPD-Chef attackiert CDUSo schimpfte SPD-Landeschef Sören Bartol nach der Entscheidung, ein Wortbruch von Merz habe dazu geführt, “dass Rechtsextremisten im deutschen Parlament wieder mitentscheiden”. Weiter sagte der Bundestagsabgeordnete: “Und die hessischen CDU-Bundestagsabgeordneten haben mitgemacht. Ausgerechnet am Tag, an dem der Deutsche Bundestag der Opfer des Nationalsozialismus gedacht habe.”Das kraftmeierische Gerede von Boris Rhein führt zu einem offenen Streit in der hessischen Koalition” – so bewertete Grünen-Fraktionschef Mathias Wagner solche Äußerungen aus der Hessen-SPD. Eine Regierungskrise in Hessen sei spätestens absehbar, wenn es zu einer Abstimmung im Bundesrat kommt. Es sei bedauerlich, dass nur wenige in der CDU die Kraft hätten, sich dem Kurs von Merz entgegenzustellen. Der Grünen-Politiker sprach von einem “Dammbruch”.Regierungsspitze bestreitet SpannungenRhein und SPD-Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori bestreiten, dass der Asylstreit zu Spannungen in der hessischen Koalition führen könnte. Am Mittwoch bekundeten beide auf Nachfrage am Rande eines gemeinsamen Auftritts zur Wirtschaftsförderung, die Arbeit laufe reibungslos. Mansoori meinte, es sei schließlich klar, “dass es sich am Ende bei Union und SPD um zwei unterschiedliche Parteien handelt, die unterschiedliche Vorstellungen haben, wie mit der aktuellen Situation umzugehen ist”.Ganz andere Töne schlug am Donnerstag Mansooris Parteifreundin Josephine Koebe an, Generalsekretärin der hessischen SPD und Landtagsabgeordnete. Auf Instagram ging sie den Koalitionspartner scharf an: Der einzige Zweck des CDU-Vorstoßes sei der unmenschliche Versuch, “Migranten in einen Pott zu stecken und zu diffamieren”. Und weiter: “Ich dachte immer, C steht für christlich, aber christliche Werte können es nicht sein, wenn man nach den Kirchen geht.”Kirchenvertreter üben KritikDamit spielte die SPD-Politikerin auf eine kritische Stellungnahme an, die das Kommissariat der katholischen Bischöfe und die Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche gemeinsam veröffentlicht haben.Die Verbindungsstellen der beiden Kirchen zur Bundespolitik kommen darin zur Bewertung: Die von Merz angestoßene Verschärfungen hätten nach aktuellem Wissensstand keinen der jüngsten Anschläge verhindert. Die Debatte sei dagegen geeignet, “alle in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten zu diffamieren”.Das Sekretariat der vom Limburger Oberhirten Georg Bätzing geleiteten deutschen Bischofskonferenz ging allerdings auf Distanz zu dieser Erklärung. Die mehrheitliche Meinung im Ständigen Rat der Bischofskonferenz sei, “dass es in der aktuellen Situation nicht sinnvoll ist, in die Debatte und in den Wahlkampf öffentlich einzugreifen”. Ein Sprecher des Bistums Limburg beschied am Mittwoch eine Bitte des hr um eine Stellungnahme Bätzings zum Merz-Vorstoß abschlägig.

 
 

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