Lob in Rot – The Church of Ketchup

01.01.2025Essay und DiskursDeutschlandfunkHolm Friebe und Rainer Kirberg —   –  Details

Ketchup-Box (Andy Warhol)

Ketchup ist in Deutschland zum aufgeladenen Symbol für alles Schlechte und Banausige geworden, das aus den USA stammt. Im Windschatten des «Coca-Kolonialismus» wurde er zum Kristallisationspunkt des westdeutschen Nachkriegs-Antiamerikanismus. — Ketchup in der Populärkultur: Zu den ganz frühen Siebdruck-Arbeiten von Andy Warhol zählt die Heinz Tomato Ketchup-Box.

Ketchup: Diese Melange aus Tomatenmark, Gewürzen, viel Zucker und anderen Inhaltsstoffen ist gleichermaßen ein rotes Tuch für die Verteidiger der deutschen Kultur gegen die transatlantische Zivilisation und eine «Red Flag» für Gesundheitsapostel im Gefolge der esoterisch grundierten Ökobewegung, die auf den Schultern der Lebensreform-Bewegung mit ihrer Reformkost aus dem Reformhaus steht.

 

Aber selbst in der Populärkultur(-Forschung) ist Ketchup ein Paria. Allenfalls in den Fotografien von Martin Parr, dem aus Manchester stammenden Chronisten des britischen White Trash und der verblassenden Working-Class-Kultur, die sich in verrottenden Seebädern und verkommenen Funparks verschanzt hat, ist Ketchup (Gott sein Dank!) allgegenwärtig.

 

In der akademischen Welt dagegen taucht der Ketchup lediglich da auf, wo man ihn am wenigsten vermutet: in der Volkswirtschaftslehre.

 

Als «Ketchup-Inflation» wird dort nämlich die berechtigte Sorge bezeichnet, dass eine immer weiter aufgeblähte Giralgeldmenge, die sich lange Zeit nicht in entsprechenden Preissteigerungsraten niederschlägt, wenn die Konjunktur sich dreht, plötzlich und auf einen Schlag zu einer unkontrollierten und unkontrollierbaren Inflation führt – gerade so wie Ketchup, der trotz Schütteln lange in der Flasche festsitzt, sich nach einem tipping point mit einem Mal ergießt und den Teller überflutet.

 

Analog taucht der metaphorische «Ketchup-Effekt» auch sporadisch

in den Politik- und Gesellschaftswissenschaften auf. Immer geht es dabei um das Prinzip «Erst zu wenig, dann zu viel», das sich aus der spezifischen Viskosität ableitet, dem komplexen Wesen des Ketchups aber ansonsten nicht ansatzweise gerecht wird. Das gilt es zu ändern. —

 
 

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