26.11.2024 – Gedanken für den Tag – Ö1 – Michael Krassnitzer — – Details
Giacomo Puccini
von Michael Krassnitzer, Publizist, Wissenschaftsjournalist und Experte für Populärkultur, zum 100. Todestag von Giacomo Puccini — Giacomo Puccini, dessen Tod sich dieser Tage zum 100. Mal jährt, war ein großer Opernkomponist, aber ein ganz gewöhnlicher Mensch. — Er war kein Rebell. In seinen zahlreichen Briefen formulierte er keine brillanten Einsichten. Er liebte schnelle Autos und ging gerne auf die Jagd. Er war ein Frauenheld, was damals in bürgerlichen Kreisen zum guten Ton gehörte. Am wohlsten fühlte er sich in seinem Landhaus in der kleinen Ortschaft Torre del Lago in der N ähe seiner Geburtsstadt Lucca. Vertrauten gegenüber äußerte er manchmal den Wunsch, aus den bürgerlichen Konventionen auszubrechen, aber dazu fehlte ihm der Mut. — Dass auch menschliches Mittelmaß große Kunst hervorzubringen vermag, ist ein tröstlicher Gedanke. Denn viele Eigenschaften, die bis vor Kurzem, als typisch, als geradezu konstitutiv für das Wesen des Künstlers betrachtet wurden, sind unter den nachrückenden Generationen verpönt. Nonkonformismus, Eigensinnigkeit, der sogenannte «schwierige Charakter» gelten heute unter jungen Künstlern und Künstlerinnen als «toxisch» und unerwünscht. — Mein persönlicher Eindruck ist, dass viele junge Künstler heutzutage extrem angepasst sind. Nicht unbedingt an die Konventionen der Gesamtgesellschaft – aber an rigorose, selbst auferlegte Verhaltensregeln und Denkvorgaben. Kunst aber besteht gerade darin, Regeln und Vorgaben zu überschreiten. Grundsätzlich glaube ich: Wer von seinem Charakter her nicht zur Grenzüberschreitung neigt oder sich Grenzüberschreitungen konsequent versagt, dessen Kunst wird nicht über das Gewohnte und das Gewöhnliche hinausgehen. — Immerhin: Das Beispiel Giacomo Puccini zeigt, dass meine Befürchtung nicht hundertprozentig zutrifft. Auch Menschen, die im Korsett ihrer Konventionen gefangen sind, können anscheinend große Kunst hervorbringen. Auch wenn diese Erkenntnis meinem persönlichen Empfinden widerspricht: Als Kunstliebhaber bin ich darüber sehr froh.
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