Doctor L: Da hört man den Schmutz der Hinterhöfe

05.09.2024NewsNZZJonathan Fischer —   –  Details

Liam Farrell (Doctor L)

Er ist auf der Suche nach afrikanischem Punk. In Dakar arbeitet er an der Zukunft des Afro-Pop. Ein Besuch im Studio des irischen Musikproduzenten Liam Farrell alias Doctor L.

Eine sandige Strasse im Handwerkerviertel im Norden Dakars, wo quietschende Flaschenzüge Ziegelsteine für eine der vielen Baustellen transportieren. Durch offene Türen hört man das Rattern von Nähmaschinen. Ab und zu fährt ein Taxi mit aufgedrehter Musik vorbei: schnulzige Keyboard-Sounds, schmachtende Gesänge, Trommelwirbel. Der Stil heisst Mbalax. Es ist urbaner, senegalesischer Pop, wie ihn Youssou N›Dour rund um die Welt getragen hat. — Hinter einer rötlichen Fassade mit vergitterten Fenstern regiert ein andersartiger Sound. Hier dreht Doctor L an den Reglern seines Heimstudios und zieht dabei an einem Joint: «Ganz Westafrika hat sich von schlechtem westlichem Pop verführen lassen. Interessante Sounds findest du nur noch abseits der Charts.» — Sounds aus urbanen Hinterhöfen Der drahtige Ire im Tank-Top, den Rasta-Schopf zusammengebunden, muss es wissen. Er hat die letzten beiden Jahrzehnte jedes liebliche Klischee von sogenannter Weltmusik zum Einstürzen gebracht. Er hat kongolesische und malische Folkmusik mit elektronischen Sounds verschmolzen und verzerrte Beats produziert, die auf die Avantgarde-Klubs zwischen New York, Paris und Tokio zielen. — Die Widersprüche, der Schmutz, das rohe Hinterhof-Geschehen afrikanischer Megacitys: Sie haben Liam Farrell alias Doctor L stets als Aufputschdroge gedient und den früheren B-Boy zur Hochform auflaufen lassen: «Ich suche den Geist des frühen Hip-Hop nun in der örtlichen Musikszene hier», sagt Farrell und tigert mit seinem Joint nervös zwischen dem mit afrikanischen Stoffen verhängten Studio und seiner Sneaker-Sammlung im Gang hin und her – «in Dakar bekomme ich zu Spottpreisen Sneaker-Modelle, von denen ich früher nur träumte.» — Aus den Boxen bollern tiefe Bässe. Dazu ein schleppender Beat. Und die nasal klagenden Gesänge der Mbaye Fall, einer islamischen Sufi-Sekte, die in Senegal viele Anhänger hat. Der Sänger heisst Mara Seck, er ist Doctor Ls grosse Hoffnung. «Solche Aussenseiter interessieren mich mehr als die lokale Klubmusik», sagt er. «Weil ihre Sounds unfertig sind, kann ich etwas Neues, Interessantes daraus basteln.» Der Ire unterstreicht Wörter wie «Aussenseiter» und «unfertig» mit nervösen Handbewegungen. «Ich versuche so, die punky Seite afrikanischer Musik hörbar zu machen, ihren anarchischen Kern einzufangen.» (…)

 
 

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