14.09.2024 – Le week-end – Ö1 – Elke Tschaikner und Christian Scheib — – Details
Voci di Sicilia
»Ich weiß nicht, welche Lust mich antreibt, jedes Mal, wenn ich nach Sizilien zurückkehre, die Insel zu durchschweifen und immer wieder zu durchschweifen, jede Seite von ihr abzugehen. Eine Lust, eine Versessenheit, die mich nicht an einem Ort bleiben lässt. Ich vermute, dies ist eine Art Abschied, ein Wunsch, sich zu sehen und zu berühren, ehe einer von uns beiden verschwindet.» — So formulierte der 1933 in Sant›Agata di Militello bei Messina geborene Dichter Vincenzo Consolo seine lebenslange Insel-Liebe. Vincenzo Consolos sizilianische Landsfrau Etta Scollo widmete dem 2012 verstorbenen Dichter ein ganzes Album, es ist ihre musikalische Umsetzung seines im mediterranen Barock angesiedelten, fantastischen Märchens «Lunaria» über einen melancholischen sizilianischen Vizekönig, der den Mond vom Himmel fallen sieht. Dieser imaginäre Vizekönig fühlt sich gezwungen in einer sonnigen, gewalttägigen Stadt zu leben, eine Stadt, die er nicht liebt, im barocken Palermo.
Und an dieser Stelle erlaubt sich le week-end in die Märchenhandlung einzugreifen. Wir sind nämlich gerade zufällig auch im barocken Palermo unterwegs und wissen, wer bei Mondsucht oder gar Misanthropie die kompetenteste Abhilfe leisten kann. Wir läuten an bei der musikalischsten Palermitaner Familie des Barock und einer der vielen komponierenden Mitglieder der Familie Scarlatti hat prompt den richtigen Stimmungsmacher parat. Eine Minute Tarantella und alles ist wieder gut. — Aber jetzt kurz Sprachunterricht: «siculo» ist im Italienischen das Wort für «sizilianisch», «sicuramente» wiederum heißt «sicherlich, na sicher». Drei junge Geschäftsleute aus Ragusa im Süden von Sizilien kombinierten die Worte siculo und sicuramente kurzerhand zu einem Kunstwort, zu «Siculamente» und so heißt bis heute ihre Firma, die sich auf witzige Mode spezialisiert hat. Bei «Siculamente» kann man besonders gut T-Shirts kaufen, die seltsam beschriftet und bebildert sind. Aus dem Quadrat und dem Kreis des alten Sprichwortes werden da schnell Thunfisch und Schwertfisch: «Cu nasci tunnu nun pò moriri piscipata». Und ein Schwertfisch ziert auch als Bild diesen Schriftzug. Wer als «tunnu» geboren wurde, wird nicht als «piscipata» sterben, und dass letzteres Wort nicht nur nach dem «pesce spada», dem Schwertfisch, sondern auch sehr nach dem italienischen «psicopata» klingt, wird in der Welt von Siculamente auch kein Zufall sein. — «Jene Musik ist am beliebtesten, die man gar nicht spielen kann»: Ein Dichter hat diese Worte gesprochen, heißt es in einem Stück des zeitgenössischen Komponisten Salvatore Sciarrino, indem er gesungen hat, die Instrumente haben wie flüsternd begleitet und umspielt. Das ist das «Straßenheft», das «Quaderno di strada», des Komponisten Salvatore Sciarrino, der 1947 in Palermo zur Welt gekommen ist. In dieser Sendung zu hören ist der delikate Uraufführungsmitschnitt aus dem Jahr 2003 live gespielt beim musikprotokoll im steirischen herbst in der Helmut List Halle von wahren Meistern: Der Bariton Otto Katzameier leiht den fragmentarischen Texten seine Stimme, der Komponist Beat Furrer dirigiert das in subtiler Höchstform des beinahe Verstummens spielende Ensemble «Klangforum Wien».
Genau das schwebt Salvatore Sciarrino auch vor, Zitat: «Wir werden von der Musik bis an die Schwelle der Stille geführt, wo unser Ohr sich schärft und der Geist sich jeglichem Klangereignis öffnet, als würde er es zum ersten Mal hören. Die Wahrnehmung wird erneuert und das Zuhören zu einem emotionalen Ereignis.» — Zugleich aber lässt Salvatore Sciarrino schon auf der Ebene der kurzen, fragmentarischen Texte auch durchaus den Schalk kenntlich werden, den er in seinen Straßenheften eben auch sammelt. «Ich besitze zahlreiche Magazine mit Texten, Magazine mit Titeln. Was ich sammle, hat nicht nur literarische Ursprünge, es kommt auch aus der Mündlichkeit, ebenso wie aus Inschriften oder Graffitis an Wänden.» — Wir kehren noch einmal zurück zum heimlichen, roten Faden dieser Sendung, zum «dolce stil novo», wie Dante Alighieri den Stil seiner Vorgänger ein paar Jahrzehnte später nennen sollte. Es geht ständig um die Liebe. Das Verhaltensmuster ist aber dem eines Dieners zu seinem Herrn nachgebildet, sprich der Dichter als Dienender denkt gar nicht an eine simple Wunscherfüllung, das würde ja das Verhältnis sofort zerstören. Er versucht, einfach so elegant und raffiniert wie irgendmöglich zu sein, um sich in den Augen der Geliebten, also eigentlich korrekter gesagt, der Angebeteten nicht zu blamieren. Selbst Friedrich II hat als Kaiser zu diesem Genre beigetragen.
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