Olympische Spiele: Merci bien!

10.08.2024NewsZeit OnlineGötz Hamann —   –  Details

Remco Evenepoel

Kann Paris bitte zum Vorbild werden für alle künftigen Olympischen Spiele? Wie Frankreich es geschafft hat, wieder Lust auf Großstadt zu machen. — Nur wenige Sekunden vor dem Ziel – und vor dem Eiffelturm. So siegte Remco Evenepoel beim Straßenrennen. — Ein Mann fährt über die Seine und über die Ziellinie, er stoppt, steigt vom Rad, stellt es quer und sich breitbeinig dahinter, dann reckt er die Arme hoch. So hat Remco Evenepoel seinen Olympiasieg im Straßenrennen gefeiert, während einige hundert Meter hinter ihm ein technikhistorisches Weltwunder zu sehen war: der Eiffelturm. Mehr Kulisse geht kaum. Stadt und Olympia, Architektur und Event verschmolzen hier zu einem Bild. An den Olympischen Spielen entzündet sich jedes Mal eine Debatte, was sie einer Stadt und den Menschen darin antun, was also Stadt und Spiele voneinander haben. Darauf hat Paris nun mehrere neue Antworten gefunden, und vielleicht kann daraus eine neue europäische Olympia-Formel werden, die irgendwann sogar eine deutsche Großstadtgesellschaft davon überzeugt, dass sich eine Bewerbung wieder lohnen könnte. Ein wenig subtiler, aber nicht weniger sinnbildlich als das Radrennen war die Szenerie beim 3 x 3 Basketball. Die deutschen Frauen haben einfach nicht verloren, 16:15 im Halbfinale, 17:16 im Finale. Ihr Sieg gehört zu den unerwarteten und deshalb so berührenden Momenten dieser Spiele. Die Basketballerinnen um Sonja Greinacher spielten dabei nicht in irgendeiner Funktionshalle um Gold, sondern wirklich auf der Straße, präziser, auf der Place de la Concorde. Temporäre Tribünen umschlossen das Spielfeld von drei Seiten, und das Publikum sah hinter den Basketballerinnen jenen Obelisken, den der französische König vor fast 200 Jahren vom ägyptischen Vizekönig geschenkt bekam. Und wer hat dieses 23,5 Meter hohe Monument aus Luxor nach Paris geschafft? Eben jener Jean-François Champollion, der zuvor den Stein von Rosetta entziffert, damit erstmals die ägyptischen Hieroglyphen übersetzt und den Europäern einen neuen Blick auf die Ursprünge ihrer Zivilisation erlaubt hatte. Drei Jahre war der Obelisk im frühen 19. Jahrhundert unterwegs vom Nil an die Seine, im Jahr 2024 wurde er zur Kulisse für die Olympische Spiele.

Kulisse einer Eventgesellschaft Ja, die Stadt ist während der Spiele zur Kulisse einer Eventgesellschaft geworden, die sich mehr für Bilder interessiert als für den historischen Kontext – und meistens wenig von ihm weiß. Ja, die Monumente von Paris machen Olympia total instagrammable und tiktokable, Monument und Event verstärken sich gegenseitig und erhöhen die Aufmerksamkeit auf die Spiele, was wiederum die Veranstalter nutzen, um Sponsoren hohe Summen abzupressen für die Erlaubnis, ihr Logo auf den Sport und die Stadt zu pappen. Andererseits haben sich bereits die Bildungsreisenden im 18. und 19. Jahrhundert in Italien und Griechenland gerne ein Ölgemälde von den Ruinen mit nach Hause gebracht. Als Souvenir. Manche ließen sich auch selbst hineinmalen. Schon damals dienten historische Stätten und Städte als Ausweis sozialer und kultureller Überlegenheit. Sie liehen dem Besucher ihre Aura so, wie sie heute dem Influencer und dem Sponsor dienen. Aber umgekehrt laden die allgegenwärtigen Bilder von Paris die Stadt wieder einmal als Sehnsuchtsort auf, sie erzeugen den Wunsch, dorthin zu reisen, endlich wieder Paris zu sehen, die Metropole zu erleben. Während der Pandemie hat die Stadt den letzten Rest ihrer Attraktivität eingebüßt Es ist eine Abwechslung zu dem Eindruck, den wir in der jüngeren Zeit von Millionenstädten gewonnen haben. Zu Recht werden sie als Orte beschrieben, an denen sich die Probleme türmen: kaum bezahlbare Mieten, das Aufstiegsversprechen klingt auch für die Mittelschicht hohl, seit die Immobilienpreise so hoch sind. Dazu kommt der Verkehrskollaps. Und es hat sich ein Bild von der Stadt verfestigt, die das umliegende Land aussaugt: Menschen weglockt, Unternehmen und damit Wohlstand zentralisiert, sich ernähren lässt. Als wäre das nicht genug Kritik, hat die Stadt während der Pandemie den gefühlt letzten Rest ihrer Attraktivität eingebüßt. Sie ist nicht mehr der Ort gewesen, an dem alles in Bewegung ist, dynamisch, an dem die Zukunft erdacht wird, die voller Chancen und Überraschungen steckt, nein, sie sperrte ihre Bewohner ein, warf sie auf ihre kleinen Wohnungen zurück und würgte das kulturelle Leben ab. Gemessen daran feiert Paris mit den Olympischen Spielen die Stadt wieder als Lebens- und Möglichkeitsraum. Es ist, wenn man so will, das erste globale Stadtfest seit dem Ende der Pandemie, und gerade die europäischen Metropolen sind dafür geeignet, weil sie mit ihren ikonischen Bauwerken, ihrer überschaubaren Größe und ihrer strengen Komposition erlauben, ein solches Sportereignis tatsächlich in die Stadt zu holen und beide Sphären augenscheinlich miteinander zu verbinden. (…) Ein Foto mit den olympischen Ringen? Kein Problem. Kinder erobern die Spiele.

 
 

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