Zwischen Moderne und liederlicher Träumerei – Diagonal zum Thema Prater

11.05.2024DiagonalÖ1Peter Waldenberger —   –  Details

Wiener Prater

Der Wiener Prater wird heute vor allem als Vergnügungspark mit Attraktionen zwischen Kettenkarussell und Geisterbahn wahrgenommen. Doch betrachtet man das einst aristokratische Areal, das 1766 von Kaiser Joseph II. für die Allgemeinheit geöffnet wurde im historischen Längsschnitt, enthüllen sich noch ganz andere, ungeahnte Seiten. — Der Wiener Prater ist mehr als ein Vergnügungspark. Es gab Sehenswürdigkeiten wie das Anatomische Museum von Hermann Präuscher, das Wachsfiguren und Präparate zeigte und mit seiner Mischung aus Wissenschaft und Scharlatanerie, aus fremdartigen Schauwerten und Schockeffekten neue Körperbilder zur Schau stellte und vieles von dem bündelte, was den Prater als Gegen- und Fluchtort im effizienzorientierten, expandierenden Industriekapitalismus des 19. Jahrhunderts ausmachte: Er war einerseits eine Zone der Erholung und der Rekreation, andererseits mit seinen auf Körperverwirbelungen zielenden Fahrgeschäften ein Schauplatz der Angstlusterlebnisse. Darüber hinaus fanden in der heute nicht mehr existierenden Rotunde um die vorletzte Jahrhundertwende Ausstellungen zu Elektrizität, zu Autos und zu Flugzeugen statt, die den Prater zu einer Art Versuchsstation der Moderne graduierten. Außerdem mischten sich hinter dem Riesenrad, weil kein Eintritt verlangt wurde, die Klassen und Milieus auf eine Weise, wie es im stärker segregierten Innenstadtraum nicht stattfinden konnte – mit durchaus utopischem gesellschaftspolitischem Potential. — Alles dreht sich, alles bewegt sich: Der historische Prater war ein Mikrokosmos zwischen Kleinkriminalität, Verschwendung und Liminalität, wo im Taumel der sensomotorischen Grenzerfahrungen die Desorientierung einer Epoche der technologischen Innovationen und der Katastrophenlust ihr Spiegelbild fand. Was Elfriede Jelinek 2006 für den Dokumentarfilm — Prater» von Ulrike Ottinger geschrieben hat, gilt auch heute noch: — Indem wir uns in, auf diesen Maschinen, die nur dem Vergnügen dienen, zur Schau stellen, aus ihnen herausschauen auf die Umstehenden, die uns dabei zuschauen, geben wir etwas von uns her, wir geben es fort, ja, indem wir uns zeigen, schenken wir uns her.» — Mit Beiträgen von Anna Lindner, Lukas Kuttnig, Kaspar Arens, Clemens Marschall, Anna Soucek und Thomas Mießgang

 
 

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