Die Berliner Fotografin Helga Paris ist tot: Sie war die Meisterin der poetischen Tristesse

06.02.2024NewsBerliner ZeitungIngeborg Ruthe —   –  Details

Helga Paris

Ein Nachruf auf die unvergleichliche Berliner Fotografin Helga Paris. Sie starb 85-jährig in ihrer Wohnung in Prenzlauer Berg. — Im Jahr 2011, es war im nassen, kalten Herbst, hatte sie die Kamera weggestellt. Endgültig und gelassen: Menschen, Jahre, Leben. Helga Paris sagte, sie habe «alles gesehen, alles fotografiert und registriert». Sie will, sie kann nichts wiederholen. «Die Erregung ist weg», erklärte sie, «in mir ist es still und friedlich, ich habe gesagt, was ich zu sagen hatte.»

Acht Jahre später, wieder im Herbst, begegnete die Grande Dame der Fotografie im längst verschwundenen Land DDR sich selbst. Sachte, zögerlich fast ging die nach wie vor zart und anmutig wirkende damals 81-Jährige auf ihre eigenen Bilder zu, die für ihre große Werkschau an den Saalwänden der Akademie der Künste am Pariser Platz, zu deren Mitglied sie im Jahr 1996 berufen worden war, aufgereiht waren. Alle nach Themen und Serien gruppiert. Sämtliche 275 Aufnahmen hatte sie konsequent in Schwarz-Weiß gemacht, mit Kontrasten, mit Schatten und poetischen Nebelfeldern, in die die Konturen der Städte und des Lebens einzusickern scheinen. — Diese Bilder, längst erschienen in der Zeitschrift Magazin und anderen Periodika, erzählten Geschichten – fröhliche, traurige, herbe, harte, witzige Begegnungen, die beim Betrachten wieder aufleuchten. Ein Schwarz-Weiß in allen Farben dieser Welt, Zeugnisse eines Alltags in Städten und Dörfern, den Helga Paris geduldig beobachtete – und bannte. — Welches Glück, für die Gesellschaft und für die fotografische Kunst, dass es diese Aufnahmen gibt. Gerade kam die Nachricht, dass Helga Paris, eine der letzte großen Fotokünstlerinnen der ehemaligen DDR, am 5. Februar in ihrer Wohnung in Prenzlauer Berg in den Armen ihrer Tochter Jenny, die sie über viele Wochen gepflegt hat, friedlich eingeschlafen ist. Im Mai wäre sie 86 Jahre alt geworden. Helga Paris war eine so genaue wie sensible Chronistin ihrer Zeit. Und alle Negative ihrer unvergleichlichen Aufnahmen hat sie noch als Zeitzeugenschaft dem Archiv der Akademie der Künste übergeben. — (..)

Nachruf auf die Berliner Fotografin Helga Paris: Geprägt durch die Malerei — Nach fotografischen Vorbildern befragt, erwiderte sie in einem Gespräch in ihrem Refugium, hätten die Filme der italienischen Neorealisten, des Russen Sergej Eisenstein und das französische Nachkriegskino (sie sah die Filme vor dem Mauerbau von 1961 in West-Berlin) großen Eindruck auf sie gemacht. Hinzu kam das Theater – DT, Berliner Ensemble, Gorki. Anders als namhafte und bewunderte ostdeutsche Fotografenkollegen – Arno Fischer, Sibylle Bergemann oder die Leipziger Grand Dame der Fotografie, Evelyn Richter, – orientierte Helga Paris sich nicht an Klassikern des Metiers wie Cartier-Bresson, Robert Frank oder Brassaï. Inspiriert haben sie eher existenzielle Gemälde, von Max Beckmann und Edward Munch. «Ebenso beeindruckt haben mich die Amateurfotos aus Familienalben, diese banalen, unspektakulären Alltagsszenen», so komplettierte sie ihre Wahlverwandtschaften. — (..)

Wie kommt man Menschen so nahe wie möglich, ohne ihnen auf den Pelz zu rücken? Diese Quadratur des Kreises hat sie für sich und ihre Kleinbildkamera mit Empathie gelöst. «Ich habe Vertrauen aufgebaut», erzählte sie damals an ihrem Wohnzimmertisch in Prenzlauer Berg, «ich hab‹ den Leuten gesagt: Ihr müsst nichts machen, was Ihr nicht wollt.» Auf diese geduldige, stille, abwartende, auch ermutigende Weise erkundet sie Gesichter, Haltungen, spontane Gesten oder Posen, ohne zu belästigen. Es ist eine behutsame, immer die nötigen Zentimeter Distanz wahrende und mit Geduld gepaarte Hartnäckigkeit, die ihre Bilder vom Menschen hervorgebracht hat. Es ist eine starke und zugleich sensible Porträtkunst, die keiner stilbildenden Fotoschule entsprungen ist, keinem technischen Trend folgte. Eine Fotokunst, die aus Menschenliebe entstand.

 
 

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