03.02.2024 – News – NZZ – Peter Rásonyi, Christoph Eisenring — – Details
Joschka Fischer
Interview — Der ehemalige deutsche Aussenminister Joschka Fischer fordert alle nötige Unterstützung für die Ukraine im Abwehrkampf gegen Russland. Das gelte auch für die Schweiz, deren Neutralität heute überdacht werden sollte.
— Vergangenes Wochenende waren viele Menschen in Deutschland auf der Strasse, um gegen die AfD zu protestieren. Waren Sie auch dabei?
Ich bin nicht dazu gekommen, aber ich hätte keine Probleme damit. Ich finde es eine hervorragende Sache. Auch dass es parteiübergreifend ist, dass es sehr breit ist. Aber ich hatte an beiden Wochenenden zu tun. — Ist denn die AfD eine grosse Bedrohung für die Demokratie in Deutschland?
Ich will es nicht darauf ankommen lassen, dass eine Nachfolgepartei der Nazis wieder die Gelegenheit bekommt. Stellen Sie sich vor, diese Diskussion in Potsdam: Ausweisungen von Millionen von Menschen. Unter anderem auch von deutschen Staatsangehörigen. Das ist doch alles nicht von dieser Welt. — Haben Sie so viel Misstrauen gegenüber der deutschen Bevölkerung?
Es geht nicht um Misstrauen gegenüber der deutschen Bevölkerung. Es wurden schon einmal eine solche Partei und ihr Führer gnadenlos unterschätzt. Und es war eben Deutschland. Es war nicht Frankreich, es war nicht Grossbritannien. Es war bei uns. Wir sind in Deutschland. Und wir haben eine besondere Geschichte. Eine, die schmerzt bis auf den heutigen Tag. So viel Masochismus habe ich nicht, dass ich meine, jetzt probieren wir es einfach mal. Es mag sein, dass Ihnen als Schweizer das nachzuvollziehen schwererfällt. Wir leben nun mal in einem konkreten historischen Raum. — Um den Erhalt der Demokratie geht es auch in der Ukraine. Das Interesse am Krieg ist im Westen erlahmt, obwohl die Lage dort sehr ernst ist. Wie wird das enden?
Wir sind in Europa zurück in einer Situation der Rivalität zwischen den Grossmächten. Das ist eine sehr instabile Situation. Die Uhren der Geschichte wurden weit zurückgestellt – im Falle Putins und Russlands sogar ins 19. Jahrhundert, als Russland ein Zarenreich war. Es hat doch keiner von uns damit gerechnet, dass Kriege um die Hegemonie in Europa wieder möglich sein werden. — Der deutsche Bundeskanzler Scholz hat von der Zeitenwende gesprochen. Doch hat Europa genug unternommen, um der Ukraine zu helfen?
Die EU ist wie eine Schweiz, wenn die Kantone noch das Sagen hätten. Es ist eine Konföderation unabhängiger Nationalstaaten und eben kein Bundesstaat. Die Länder haben unterschiedliche Sichtweisen und Interessen. Dass das gemeinsame Interesse nicht überwiegt, hat mit der mangelnden Entschlossenheit der Akteure zu tun. Wenn die Ukraine gegen Russland verliert und als Staat ausgelöscht wird, dann endet das ja nicht. — Joschka Fischer von den Grünen war von 1998 bis 2005 deutscher Aussenminister und Vizekanzler.
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