31.01.2022 – News – Süddeutsche Zeitung – Christine Dössel — – Details
Michael Degen
Er spielte Hamlet, Hitler, Holocaust-Überlebende – und den Chef von Commissario Brunetti: Der Schauspieler, Schriftsteller und jüdische Aufklärer Michael Degen wird 90. — Michael Degen blickt auf ein sehr langes, sehr reiches Schauspielerleben zurück, seit siebzig Jahren übt er diesen Beruf aus – was kommt da nicht alles zusammen! Sein Rollenverzeichnis umfasst Auftritte in Rosamunde-Pilcher-Schmonzetten ebenso wie Protagonisten des klassischen Repertoires, allein den Hamlet hat er dreihundertmal gespielt. Fest eingeschrieben in die Köpfe der Zuschauer und bei Fans auch in die Herzen hat er sich jedoch vor allem als geckenhaft-eitler Vice-Questore Giuseppe Patta, Vorgesetzter von Commissario Brunetti in der 2019 abgeschlossenen «Donna Leon»-Reihe der ARD. Die teutonische Italianità, die das deutsche Fernsehen in diesen oft schlaffen Venedig-Krimis nach den Büchern von Donna Leon zelebrierte, war für die einen schwer aushaltbar, für die anderen jedoch, immerhin ein Millionenpublikum, ein kuschelig-kriminaltouristisches Ereignis. — Zum Rollenprofil des bei Degen stets wie aus dem Ei gepellten Vice-Questores gehört, dass er zwar das Sagen hat, aber keiner ihn so richtig ernst nehmen kann, weil er ein aufgeblasener Fatzke und als Polizist einigermaßen dämlich ist, anfällig für Luxus, Korruption und Schmeichelei. Die Komik, die darin steckt, hat Degen jedes Mal bis an die Grenze zur Trotteligkeit ausgereizt. Er spielte die Rolle nicht nur, wie es immer heißt, «mit einem Augenzwinkern», sondern sehr oft gleich ganz als Knallcharge, mit überdeutlicher Gockel-Gestik, vielleicht auch, um sich die Figur vom Leib zu halten, seine innere Distanz zu signalisieren. Denn eigentlich war dieser Patta gar nicht sein Fall. «Ich vermisse ihn nicht, ich weiß gar nicht, ob ich ihn besonders mag», sagte er jüngst. — Gentleman und Charakterkopf: Michael Degen, geboren am 31. Januar 1932 in Chemnitz (hier auf einem Foto von 2007).
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