«In zehn Jahren wird Russland völlig losgelöst sein vom Westen», sagt Russland-Experte Gabujew

22.01.2024NewsNZZPhilipp Wolf, Patrick Zoll —   –  Details

Alexander Gabujew

Interview — Kaum jemand kennt das russisch-chinesische Verhältnis so gut wie Alexander Gabujew. Er erklärt, warum Russland und China näher rücken, obwohl sie sich nicht lieben.

Herr Gabujew, Xi Jinping und Wladimir Putin verkündeten vor zwei Jahren «grenzenlose Freundschaft». Wie steht es um diese Freundschaft?

Sie sollten solche Propaganda-Parolen nicht ernst nehmen. Vor dem Krieg diente diese dazu, dem Westen gegenüber Einheit zu signalisieren. Nun wird kaum mehr davon gesprochen, es stehen wieder stärker die materiellen Interessen im Mittelpunkt.

Die da wären?

China war schon immer ein wichtiger Markt für Russland. Seit dem Angriff auf die Ukraine ist China noch viel wichtiger geworden. Heute ist China der Rettungsring der russischen Wirtschaft und liefert wichtige Technologien, die Russland braucht, um die Kriegsmaschinerie am Laufen zu halten. — Und wie sieht das aus chinesischer Sicht aus?

Für Peking ist von grösstem Interesse, dass Russland China wohlgesinnt bleibt, auch als Vetomacht im Uno-Sicherheitsrat. Russland liefert billige Rohstoffe, und was noch viel wichtiger ist: Militärtechnologie, die China nirgendwo sonst bekommt. — Worin ist Russland China militärisch voraus?

Bei Frühwarnsystemen, Satelliten zur militärischen Aufklärung, Triebwerken für Kampfjets, Technologie für Störsender. Russland hat leisere, nuklear betriebene U-Boote. China könnte all diese Dinge bekommen. — Glauben Sie, dass Russland diese Technologien teilen wird?

Wir wissen es nicht. China könnte Russland unter Druck setzen: «Wenn ihr diese oder jene Technologie nicht mit uns teilt, kaufen wir weniger Öl und Gas von euch.» Gleichzeitig sagt sich Russland möglicherweise: «Was schlecht für die USA ist, ist gut für uns.» Und ein militärisch starkes China ist natürlich schlecht für die USA.

Sie mussten Russland nach dem 24. Februar 2022 verlassen und müssen es nun von aussen analysieren. Hindert Sie das daran, Russland zu verstehen?

Die Umstände erschweren eindeutig unser Verständnis von dem, was vor Ort passiert. Deshalb ist «intellektuelle Ehrlichkeit» wichtig. Es ist eine Herausforderung, die einen zwingt, diszipliniert anhand von Quellen zu arbeiten. Immerhin gibt es heute viel mehr Quellen als noch zu Zeiten der Sowjetunion. Dank dem Internet gibt es viel mehr belastbare Daten. Russen können immer noch nach Europa oder Dubai reisen, wo man mit ihnen reden kann. Für Leute wie mich, die im Exil leben, ist es extrem wichtig, das Land nüchtern zu betrachten und nicht in Wunschdenken zu verfallen und beispielsweise den Tod Putins oder das Ende seines Regimes vorherzusagen. — Alles, was Sie jetzt gesagt haben, gilt auch für China. Welche Blackbox ist schwieriger zu analysieren? China oder Russland?

Mit Blick auf Entscheidungsträger ist es für mich China. Es gibt kaum noch Leute, die Auskunft geben, der Informationsfluss ist praktisch versiegt. In Russland ist die Situation noch etwas besser. Allerdings verschlechtert sich das seit dem Beginn des Krieges gegen die Ukraine.

 
 

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