17.01.2024 – Zeit-Ton – Ö1 – Irene Suchy — – Details
Natalia Prawossudowitsch
Das Album «Kupala» der ukrainisch-deutschen Musikerin und Sängerin Ganna — Wer ihr letztes Album «Home» gehört hat, wir haben es Ende 2022 in den Spielräumen vorgestellt, der wird über diesen Sound verwundert sein. Denn während Ganna in «Home» die ukrainischen Volkslieder Richtung Jazz führte, interpretiert sie auf «Kupala» die traditionelle Musik ihrer Heimat mit elektronischen Mitteln. So wie sie es in ihren Solo-Auftritten schon seit Jahren praktiziert mit ihrer fünfspurigen Loopmaschine. — Mit ihren Loops, Samples und Effekten aller Art arbeitet sie fast wie eine visuelle Künstlerin. Wir hören ein paar Takte eines Liedes a cappella, so wie es seit hunderten von Jahren gesungen wird, und dann stellt sie quasi dieses Bauernmädchen in seiner Tracht mitten auf eine bunt blinkende Tanzfläche in einem Berliner Szenelokal. Und ihr gelingt das Kunststück, diese beiden Welten in Interaktion und Dialog zu bringen wie in einem Tanz. — «Kupala» ist das Wort für Mittsommernacht, viele der traditionellen Lieder orientieren sich am bäuerlichen Jahreskreis: Ein Erntelied, ein Winterlied für eine unverheiratete Frau, eine Ballade über ein Liebespaar im Nebel. Wenn die Rollenverteilung gar zu traditionell wird – schwache Frau braucht starken Mann – verwendet Ganna statt des alten Texts ein Gedicht der ukrainischen Autorin Tanja Maljartschuk, das von einer unbeugsamen, unabhängigen Frau erzählt. — Ganna tritt am 17.1. solo in der Kulturfabrik in Kufstein auf und am 18.1. zusammen mit ihrem Pianisten Povel Widestrand im Festspielhaus St. Pölten. — Wir stellen Gannas Innovationen einige Feldaufnahmen aus der Ukraine gegenüber. Alte Bäuerinnen sitzen zusammen und singen die Lieder, die bereits ihre Mütter und Großmütter zusammen gesungen haben. Es wird getanzt und musiziert. Aber auch mal reingehustet oder gelacht. Und wenn das Handy klingelt, muss sie rangehen, schließlich war es wichtig. — Festgehalten in Bild und Ton in bis dato fast 2000 Videos aus der gesamten Ukraine wird das in dem unschätzbar wertvollen Polyphony Project. Initiiert 2014 von dem ungarischen Musiker Miklos Both, stellt es heute das bedeutendste audiovisuelle «Freiluftmuseum» für ukrainische Folklore dar, frei zugänglich für alle – auf Youtube. Denn in der Ukraine – so Miklos Both – sei noch eine Kultur lebendig, die in den meisten europäischen Ländern längst verschwunden ist.
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