23.09.2023 – Diagonal – Ö1 – Thomas Mießgang und Peter Waldenberger — – Details
Block Party
Es ist immer schwierig, die Entwicklung eines ganzen Genres auf ein Ursprungsdatum festzunageln. Doch bei Hip-Hop gibt es gute Argumente, im Jahr 2023 das 50-Jahr-Jubiläum zu feiern. 50 Jahre Hip-Hop. Wie aus einem zufällig geborenen afroamerikanischen Block Party-Spass eine dauerhafte Weltsensation wurde. — Am 11. August 1973 trat DJ Kool Herc – heute eine Legende – bei der Back-to-School-Party seiner Schwester in der New Yorker Bronx auf. Er verlängerte den Beat einer Nummer, indem er zwei Plattenspieler verwendete und die Percussion-Breaks mit einem Mixer zu einer Endlosschleife loopte. Diese Experimente führten zu dem, was wir heute als «Breaking» oder «Scratching» kennen. Als dann noch ein MC begann, sich über den kunstvoll arrangierten Instrumentalspuren als virtuose Wortschleuder zu betätigen, war Hip-Hop geboren. Der Rest ist Geschichte. — Nicht, dass damals irgendjemand geahnt hätte, dass aus dem eher zufällig geborenen afroamerikanischen Block-Party-Spaß eine dauerhafte Weltsensation werden könnte. Doch genauso ist es gekommen: Hip-Hop produzierte schon in den ersten Jahren nach Kool Herc globale Hits; etwa «Rapper›s Delight» von der Sugarhill Gang oder «The Message» von Grandmaster Flash & the Furious Five. Doch danach ging die Sache erst richtig durch die Decke: KRS-One/Boogie Down Productions, Public Enemy, A Tribe Called Quest und viele andere trugen maßgeblich zur schwarzen Bewusstseinsbildung und Informationsverbreitung in Zeiten von Crack und Inner City Riots bei, Chuck D von Public Enemy sprach gar von Hip-Hop als «schwarzem CNN». Doch es darf auch nicht verschwiegen werden, dass auf jeden «Consciousness»-Track auch eine ekelhaft misogyne Nummer mit viel «Braggin› and Boasting» – also machomäßigen Prahlereien in Reimform – kam. Weltmeister in dieser Disziplin war im Paläolithikum des Hip-Hop die 2 Live Crew aus Miami mit expliziten Titeln wie «Me So Horny». — Im Spannungsfeld zwischen Sex, Crime und afroamerikanischer Volksaufklärung ging es auch in den darauffolgenden Jahrzehnten weiter. Wer immer geglaubt haben mag, dass dem Hip-Hop irgendwann einmal die Puste ausgehen würde, der sah sich getäuscht: Das Genre erwies sich als überaus flexibel und adaptionsfähig: Heute hat fast jedes Land auf der Welt seine nationale Hip-Hop-Szene in der eigenen Sprache und die Musik hat sich in unendlich viele Subszenen und Partikularstile feindifferenziert: Neben Superstars wie Drake oder Jay-Z haben sich auch Nischenkünstler wie Clipping oder Pink Siifu mit avantgardistischen Soundscapes dauerhaft etabliert. Hip-Hop ist dabei längst kein reines «Beat & Voice»-Phänomen mehr, sondern kann – wie etwa bei Kanye West – in wagnerianisch-orchestralen Dimensionen aufgehen. Das Gegenprogramm wären dann die ausgezehrten Soundskelette des Minimal-Hop etwa der Sleaford Mods, die das Genre mit britischem Working-Class-Ethos aufladen. — Hip-Hop ist heute so etwas wie die globale Lingua franca der Popmusik, durchaus afroamerikanischen Ursprungs, aber mittlerweile von so vielen Ländern, Szenen, Milieus und unterschiedlichen Schichten aufgesogen, dass man von einer postrevolutionären Universalkultur mit maximaler Anschlussfähigkeit sprechen kann. Und es gibt trotz zahlreicher kommerzieller Irrwege immer noch Künstler und Künstlerinnen, die alles haben, was Hip-Hop einst zu einer bedeutenden Kunstform gemacht hat: politisches und soziales Bewusstsein, einen unwiderstehlichen Flow mit imaginativen Reimen und innovative Begleitklänge, die Jazz, trockene Beats und elektronische Klangfarbenspiele zu abenteuerlichen Soundscapes amalgamieren. Leute wie Kendrick Lamar in den USA und die Rapperin Little Simz in Großbritannien. — Auf jeden Fall gilt im Jahr 2023 genauso wie 50 Jahre zuvor die Formel: «Hip-Hop Don›t Stop!»
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