22.08.2023 – Des Cis – Ö1 – Stefan Niederwieser — – Details
Ex Utero
Der Titel des ersten Albums des Berliner Vokalensembles The Present bringt es auf den Punkt: den Anbeginn des Menschenlebens!
Neben der Renaissance der Vokalensembles ist die kluge Dramaturgie neuer Alben und besonders des Labels col legno zu loben. Hier ist ein Konzeptalbum zum Thema Marienleben, eine – wie das Ensemble sagt – neue Form der Marienvesper. — Ex Utero: es wird der oft vielzitierte Schoß, aus dem das Menschenleben entsteht, dezidiert genannt. Nicht als Schmähruf wie bei Brecht: «der Schoß ist fruchtbar noch .», sondern als Ursprung. Das Album ist in konsequenter Weise eine neue Form der Marienvesper.
Beginnend mit dem Herzschlag des ungeborenen Kindes entsteht ein zeitgenössischer Puls. Er findet sich als kreisförmig angelegte Komposition in Catherine Lambs Puls/shade, auf die bei Chiara Cozzolani viel besungene barocke Ewigkeit Bezug nehmend. — Das Konzept nimmt Bezug auf die intensive Musikproduktion der italienischen Nonnenklöster. Ironie der Geschichte: Die Pestepidemie von 1630 in Mailand und Venedig half den musizierenden Nonnen zu größerer Bekanntheit, zwei Drittel des männlichen Klerus waren gestorben. Entgegen den Restriktionen der katholischen Kirche wurden die Kapellen der Nonnenklöster die größten und wichtigsten musikalischen Institutionen in Mailand. In diese Zeit des 17. Jahrhunderts fällt auch das Schaffen von Chiara Margarita Cozzolani, die am Kloster Santa Radegonda in Mailand als Maestra di Capella und Äbtissin fungierte. An die Stelle des traditionellen Hilferufs «Deus in adiutorium meum intende» komponiert die 1947 geborene Hildegard Westerkamps «Breaking News», Hilferuf und Verkündigung in einem. — Nach der Ensemble-Idee Altes und Neues zu kombinieren, stehen den barocken doppelchörigen Psalmenvertonungen Werke der zeitgenössischen Komponistinnen Hildegard Westerkamp, Michèle Bokanowski und Catherine Lamb gegenüber.
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