Ulbricht-Biografie / Ein Buch, das in die Diskussion um DDR und Kommunismus passt

15.07.2023NewsBerliner ZeitungRainer Eckert —   –  Details

Rainer Eckert

In den drei Jahrzehnten seit der Friedlichen Revolution hat der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk Standardwerke zum Volksaufstand von 1953, zur Revolution 1989/90 und zur Transformation ab 1990 im Osten geschrieben. Jetzt folgt der erste Band der Walter-Ulbricht-Biografie – und damit die bisher umfassendste wissenschaftliche Darstellung des kommunistischen Revolutionärs und Parteiführers. Ein monumentales Werk, das auch als Geschichte des Weltkommunismus und der Kommunistischen Partei Deutschlands bis 1945 gelesen werden kann, ja muss. — Bescheidene Arbeiterfamilie aus Leipzig — Die Detailverliebtheit des Autors ist ein großer Gewinn. Sie war möglich, weil er in vielen Jahren Arbeit ein eigenes Verhältnis zu dem Politiker entwickelte und einen neuen Ulbricht entdeckte: belesen, bescheiden, voller Arbeitswut. Auch stimmte der deutsche Kommunist nicht immer mit sowjetischen Vorstellungen überein, wagte jedoch keinen offenen Widerspruch. Kowalczuks Sicht überrascht mich auch deshalb, weil mir der DDR-Funktionär schon als Kind als eine Verkörperung des Bösen erschien. Andere sahen es genauso, und es wird sich zeigen, ob Kowalczuk diese Sicht nachhaltig verändert. — Für den Autor ist Walter Ulbricht der politisch einflussreichste Leipziger. Er wuchs Ende des 19. Jahrhunderts in einer bescheiden lebenden Arbeiterfamilie auf, war ein ehrgeiziger Schüler, wurde Tischler und engagierte sich in der Sozialdemokratie. Wie viele Arbeiter wollte er sein Schicksal selbst in die Hand nehmen, lernte früh, Minderheitenpositionen zu behaupten und gegen den Mainstream zu leben. — Den Ersten Weltkrieg lehnte Ulbricht ab, dieser Krieg machte ihn zum Kommunisten. Er kehrte 1918 nach Leipzig zurück und wurde Mitglied der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei, des Spartakusbundes und des Arbeiter- und Soldatenrates. Ob die Novemberrevolution das wichtigste Ereignis in Ulbrichts Leben war, wie Kowalczuk meint, oder ob dies die Gründung der DDR 1949 war, scheint mir weiter offen zu sein. Ulbricht jedenfalls ging nach der Niederschlagung der Revolution das erste Mal in die Illegalität und fand, dass der Misserfolg im Fehlen einer leninistischen Kaderpartei begründet lag. Anfang Januar 1919 trat er in die KPD ein. Hier konnte er sein Organisationstalent beweisen und eine Karriere in einer Partei beginnen, die schnell zum wichtigsten Außenposten des sowjetischen, zentral organisierten Kommunismus wurde.

 
 

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