29.06.2023 – open: Multitrack – WDR 3 – Keno Mescher — – Details
Leftfield
Ludwig Berger spielt durch Licht- und Schattengebung auf (s)einem natürlichen Instrument: Dem Gewöhnlichen Wasserschlauch. Jérôme Noetinger & Anthony Pateras verschachteln Frequenzen, Daten, field recordings und Loops zu psychoakustischen Miniaturen. — Polyrhythmik de la nature: Soundartist Ludwig Berger war 2022 in La Dépendance, einem ehemaligen Wochenendhäuschen am Rand der Gemeinde St. Imier in der Schweiz, das als Kunstraum genutzt wird, aber auch Künstlerinnen und Künstler für eine artist residency beherbergt. Im Umfeld von La Dépendance, das inmitten des Schweizer Juragebirges liegt, hat Berger im Moor Tümpel entdeckt, auf denen kurz unter der Wasseroberfläche ein grüner Teppich aus <
Diese Pflanze betreibt unter Wasser Photosynthese, Sauerstoffblasen treiben von ihren Stängeln und Blättchen auf in Richtung Wasseroberfläche. Das ist sichtbar. In dem Moment aber, wo die Pflanzen den Sauerstoff abgeben, entstehen auch äußerst kurze Klangimpulse, die Ludwig Berger mit einem Hydrophon aufgezeichnet hat. Je nachdem, auf welche Stelle das Hydrophon ausgerichtet war, hat es rhythmische Muster und Strukturen aufgezeichnet, die abhängig von der Frequenz auch als kontinuierliche Tonhöhe wahrgenommen werden. Nur durch Zufall bemerkte Ludwig Berger, dass er Einfluss auf die Frequenz nehmen kann, indem er künstlich Schatten erzeugt und spielte dann mit der natürlichen Eigenschaft dieser faszinierenden und lebenswichtigen Pflanze als sei sie ein Musikinstrument. — Auf dem Album ‹Photosynthetic Beats› (Forms of Minutiae) hat Berger zwei längere Aufnahmen veröffentlicht. In ihrer Zeitlichkeit wurden sie belassen, nur akustische Eigenschaften wie z.B. die Sättigung wurden von ihm in der Nachbearbeitung justiert. Und er hat Rauschqualitäten entfernt.
Wüsste man es nicht besser, würden die tracks auch als synthetisch generierte IDM – Techno-tracks durchgehen – absolut clubtauglich. Dass Techno – als Teilerbe des Industrial – ganz klar einen mechanisch-rhythmischen Industriecharme hat, ist gängig. ‹Photosynthetic Beats‹ macht aber auf faszinierende und attraktive Weise deutlich, dass die Natur auf der mikroskopischen Audioebene ebenso rhythmisch und treibend funktioniert. <
Nach ‹A Sunset For Walter‹ (Penultimate Press, 2019), das, vergleicht man es mit einem Werk der Bildenden Kunst, mit seinen lang ausgleitenden sustain – Klavierakkorden und zarten Tape-Untermalungen von Noetinger, mit einem Aquarellgemälde verglichen werden kann, gibt es jetzt ein neues Joint Venture von Jérôme Noetinger und Antony Pateras: ‹15 Coruscations› (Penultimate Press). — Überwiegend Miniaturen, nur einige längere tracks, die in überraschend aufwühlender und schillernder Weise zwischen Noise und mikroskopischer Nahaufnahme, field recordings und dichten Frequenzbändern switchen. Im Kontrast zum ephemer anmutenden Vorgänger ein sehr haptisches Album mit starken Akzenten und Wendungen. Mal dumpf, mal scharf und voller Impulsivität. Nach eigener Aussage ein Produkt der Verzweiflung. Dann aber ästhetisch und praktisch versierte Verzweiflung!
Micha Krajczok macht in seinem Projekt GA GA Fehler und Störimpulse zu einer Tugend. Auf dem Album ‹Ich schwöre ich hab Angst‹ (Abstand) gleitet er stilistisch zwischen Breakcore und Dark Wave, formal zwischen Komposition und Improvisation, bestimmt und unbestimmt, rational und irrational. — Inspiration für die vielen Brüche und harschen Twists in seinen Tracks ist sein Blick auf westliche Gesellschaften. Das dort beobachtete Streben nach Individualität und Freiheit, das sich in Angst und Angst getriebenes Verhalten verkehrt. Und ein Zitat von John Cage – gelesen im dazu widersprüchlichen Kontext des weit verbreiteten Phänomens, nur schwer wirklich aufmerksam sein zu können, einfach da sein zu können, wo man gerade ist. Des unwiderstehlichen Drangs nach Eskapismus:
«More and more, I have the feeling that we are getting no where. Slowly, as the talk goes on, we are getting nowhere. And that is a pleasure. It is not irritating to be where one is. It is only irritating to think one would like to be somewhere else. Here we are, now. A little bit after the middle…originally, we were nowhere. And now again, we are having the pleasure of being, slowly, nowhere.» (John Cage, «Lecture On Nothing», 1959/61)
Der «Darwin der elektromagnetischen Lebensformen» – so wird Autor und Kritiker Mark Dery zitiert, der damit über David Lee Myers gesprochen hat. Myers ist – vor allem unter seinem Moniker Arcane Device – bekannt für reine Feedbackloop – Effektgeräte, die mit nichts anderem gespeist werden, als ihrem eigenen Output. Auf seinem neuen Album ‹Strange Attractors‹ (Crónica) veröffentlicht Myers vier Longtermer. Der kürzeste track ist 13 Minuten lang. Der längste knapp über 19. Er nennt sie «Time Displacement Music», durch die beim tiefen Hören das geschieht, was Myers ungemein fasziniert: Die Beugung der Wahrnehmung von Zeit. Dafür nutzt er delay – Systeme, LFO›s, und unterschiedliche Controller. Präferierte Tageszeit für›s Hören von ‹Strange Attractors‹: Spät abends oder nachts. Dann, wenn ohnehin alles gerne mal entrückt und gedehnt erscheint.
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