Bizarre Nachbarschaften: Wie der Architekt Paulick in die Nähe von NS-Größen geriet

04.07.2023NewsBerliner ZeitungFriedrich Dieckmann —   –  Details

Richard Paulick

Bloß ein Versehen? In einer Ausstellung der Akademie der Künste tauchen in einer Art Ahnengalerie Täter neben Opfern auf. Was steckt dahinter?

Die unter dem Titel «Macht Raum Gewalt. Planen und Bauen im Nationalsozialismus» in der Akademie der Künste präsentierte Ausstellung, die in den Händen einer von der Bundesbauministerin Klara Geywitz berufenen siebenköpfigen Historikerkommission und dreier spezieller Kuratoren lag, neigt sich dem Ende zu. Mit Interesse schloss ich mich Mitte Mai einem geführten Rundgang an. Ich glaubte die Präsentation von Baudokumenten des Schreckens und der Überhebung bereits durchmessen zu haben, bis ich in ihrem letzten Raum eines Phänomens innewurde, das meine Fassungskraft nachgerade überstieg. Es geht um die bizarre Erscheinung, dass an den Wänden dieses Raums in zwei Reihen und alphabetischer Abfolge 150 mit Porträtfotos bebilderte Kurzbiografien von «Akteuren» (so das Begleitbuch) erscheinen, die auch Menschen umfassen, die entweder während der Nazizeit im Exil waren wie der nach Schanghai emigrierte Architekt Richard Paulick und der nach Moskau emigrierte Rechtsanwalt Lothar Bolz oder aber die Nazizeit im Gefängnis beziehungsweise im KZ verbrachten, wie der gelernte Bergmann und nachmalige Landtags- und Reichstagsabgeordnete Fritz Selbmann. — Eine dritte Gruppe derer, die hier unter «Planen und Bauen im Nationalsozialismus» subsumiert werden, umfasst Menschen wie den späteren DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph und den im Bauministerium der DDR tätigen Walter Pisternik; beide waren im Widerstand aktiv und hatten allenfalls in ihrem Beruf als Maurer beziehungsweise Techniker mit dem Bauen des Hitler-Regimes zu tun. Alle diese und viele andere – zum Beispiel der Architekt Ernst Scholz, der 1937 emigrierte, im Spanischen Bürgerkrieg und in der französischen Résistance kämpfte und in der DDR 1963 Bauminister wurde, der Architekt Kurt Junghanns, der, 1933 zur illegalen KPD stoßend, seit 1937 Gefängnis und KZ-Haft erlitt, der Bauhausdirektor Mies van der Rohe, der, sich in Deutschland nach 1933 mit Ausstellungsarbeiten durchschlagend, 1938 ins amerikanische Exil ging, oder der Architekt Kurt Liebknecht, der Deutschland schon 1931 verlassen hatte –, sie alle stehen in alphabetischem Reih und Glied nicht nur mit Architekten dieser trostlosen Periode wie Paul Troost und Wilhelm Kreis, sondern auch mit Architektur-Organisatoren verbrecherischen Formats wie Fritz Todt und den in Nürnberg angeklagten Robert Ley, Fritz Sauckel, Albert Speer und Ernst Seldte. Fotos machen das Konglomerat dieser Wände sinnfällig: bizarre Nachbarschaften ohne Ende. — Eine Art Tätergalerie — War ich der Einzige, der eine solch absurde Zusammenstellung nicht nur befremdlich, sondern skandalös fand? Sie wird kaum weniger anstößig dadurch, dass sich an der Wand eine Schrifttafel findet, die auf die Heterogenität der Abgebildeten hinweist, ohne daraus jedoch die Folgerung zu ziehen, dass die Genannten und viele andere eben darum nicht in eine Reihe unter der Überschrift «Planen und Bauen im Nationalsozialismus» gehören. Denn das zunehmend zentral regulierte Planen und Bauen in der sowjetischen Besatzungszone und dann der DDR war eben nicht Planen und Bauen im Nationalsozialismus beziehungsweise Hitler-Faschismus. Ein Beitrag von Wolfram Pyta im Begleitbuch (und ebenso das zehnseitige DDR-Kapitel des vielbändigen Forschungsberichts) weist das auch deutlich aus, ohne jedoch zu erklären, warum alle diese dann in jener Porträtgalerie vorkommen, die der von vier vorangegangenen Räumen ermattete Besucher ohne weiteres als Tätergalerie aufnimmt.

Die FAZ widmete der Ausstellung einen Kommentar, der an der 150-fachen Porträtreihe kommentarlos vorüberging, nicht anders die Rezensenten der Süddeutschen Zeitung oder der Berliner Zeitung. Die nach der Eröffnung am 18. April ergehende dpa-Meldung verkündete: «Die Ausstellung beleuchtet 150 Biographien von Bauschaffenden, die vor 1945 im Bauwesen leitend tätig waren und von denen die meisten nach dem Krieg ihre Karriere fortsetzen konnten.» Das ist eine von vielen publiken Äußerungen, die bezeugen, dass die Schrifttafel, die erklärt, dass hier ganz verschiedene Biografien in Reih und Glied gestellt sind, auch fachkundig aufmerksame Besucher nicht erreicht. Einer hat gemerkt, dass hier etwas nicht stimmt, Jürgen Tietz schrieb in dem Webportal Marlowes.de: «Hinter dem NS-System und seinem Terror standen immer einzelne Menschen. Doch wie kann es sein, dass da der ‹Reichsstatthalter‹ in Thüringen, der in Nürnberg als Kriegsverbrecher hingerichtete Fritz Sauckel, in alphabetischer Ordnung einfach so neben dem Architekten Hans Scharoun gezeigt wird? Zeitgenossenschaft als hinreichendes Verbindungsglied? Wirklich?»

Die DDR-Architektur – ein Appendix der NS-Zeit? — Dass die geistigen Horizonte, denen sich einige der Abgebildeten im Osten des geteilten Nachkriegsdeutschlands zuordneten, unter dem Zeichen des Sozialismus standen, scheint den Ausstellungsmachern als strafverschärfend gegolten zu haben; wie wäre es sonst zu erklären, dass sie Menschen, die entweder gar nicht im Lande oder gar nicht in einem Bauberuf oder aber dauerhaft im Gefängnis waren, in ihre Bilderreihe einbezogen? Alles dies sind Fragen, die ich nicht beantworten kann. Womöglich handelt es sich nur um den blinden Fleck auf der Netzhaut eines zehnköpfigen Kollektivautors, die zu viel Facetten hatte, um noch klar sehen zu können. Man sollte, sagte mir beim Hinausgehen ein Mitglied der an der Ausstellung offenbar unbeteiligten Klasse Baukunst der Akademie, solche Ausstellungen nicht nur Historikern überlassen. Vor allem sollte man, wenn man die Nachkriegsarchitektur des geteilten Deutschlands und ihre Träger in Sicht bringen will, dies nicht als Appendix in eine Dokumentation zum Bauen in der NS-Zeit quetschen. Es verdient und erfordert eine eigene Ausstellung, und es gibt Vorbilder dafür.

Im Journal der Akademie, Nummer 20, Seite 12, ist ein Mitglied der die Ausstellung und die ihr vorangegangene vierbändige Publikation verantwortenden Historikerkommission, die Professorin Regina Stephan, auf die Bilderreihe eingegangen. Ihren Hinweis, «dass viele Verantwortungsträger nach 1945 ihre Karrieren fortsetzen konnten und ihre aktive Beteiligung am Bauen der NS-Zeit verdrängten, verharmlosten und ausblendeten», versieht sie mit dem Zusatz: «Dies dokumentieren eindrucksvoll 150 Kurzbiographien.» 150, das sind alle; auch diese Fachkraft war außerstande zu bemerken, dass unter diesen 150 Kurzbiografien Exilianten, KZ-Häftlinge und aktive Widerstandskämpfer Platz gefunden hatten. Deren Tafeln herauszunehmen, wäre das Mindeste gewesen, was eine verantwortungsvolle Ausstellungsleitung vor der Eröffnung hätte verfügen müssen. Es wurde versäumt und nicht etwa nachgeholt. Aber es gilt es dankbar zu vermerken, dass es der Präsidentin der Akademie nach vielen Wochen gelungen ist, sich in einer zusätzlich in Raum 5 angebrachten Tafel deutlich gegen die Egalisierungssuggestion dieser Bilderreihe zu wenden.

 
 

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