Der sanfte Wüterich / Peter Brötzmann gestorben

23.06.2023NewsFAZ onlineWolfgang Sander —   –  Details

Peter Brötzmann

Er kam als Quereinsteiger zum Jazz, legte die Axt an diesen und ließ neue Klänge sprießen, die er selbst als ungesetzlichen Krach bezeichnete. Dabei war Peter Brötzmann ein großer Künstler. Ein Nachruf. — Er war der lauteste, aggressivste, ätzendste, rücksichtsloseste, radikalste, avantgardistischste Jazzmusiker auf dem Kontinent. Was er machte, war – wie man es dem Titel einer Aufnahme von 1976, an der er mitwirkte, entnehmen kann: «Ungesetzlicher Krach». Bei Auftritten befand er sich immer im Ausnahmezustand. Die Schallplatte, mit der er erstmals die Öffentlichkeit schockierte, trug den Titel: «Machine Gun». Da wurde Musik aus allen Rohren gefeuert.

 

— Wer nachempfinden will, wie das damals, im Schicksalsjahr 1968, gewirkt haben mag, kann die Scheibe heute noch auflegen. Sie hat nichts von ihrer zerstörerischen Kraft gegen alle Hörgewohnheiten, Jazzkonventionen, Marktstrategien eingebüßt: ein pausenloses Gebrüll, pure Energie, massive Wände zum Einsturz bringende Frequenzen eines zum Klangtongeräuschbetonbohrer mutierten Saxophons. Peter Brötzmann hat mit seinem Instrument die Axt an den Jazz angelegt, wie wir ihn bis dahin kannten. Und siehe da, aus dem Stumpf, der übrig blieb, spross ein neuer Baum der Jazzerkenntnis. Das Four-Letter-Word «Jazz» hatte sich damit fast schon erledigt, auch wenn hartnäckige Aficionados des durchrhythmisierten Viervierteltaktes nach Konzerten von Brötzmann und Co. nach Hause eilten und trotzig ihre alten Benny-Goodman-Platten aus dem Regal holten.

 

— Nur chaotisch? Von wegen — Natürlich hat man ihm, dem Quereinsteiger aus der bildenden Kunst, die Qualifikation der rechten Improvisationskunst abgesprochen. Wer keine Changes spielen kann, vielleicht noch nie etwas von reiner Intonation gehört hat, von Swing gar nicht erst zu reden, der kann nur chaotischen Free Jazz von sich geben. Das Vorurteil, schräg spielen zu müssen, weil man nicht normal spielen könne, hat auch schon ein Gigant wie Ornette Coleman nach seinem historischen Auftritt mit einem Doppelquartett am 17. November 1959 im New Yorker Five Spot über sich ergehen und an sich abtropfen lassen müssen.

 
 

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