23.06.2023 – News – taz online – Julian Weber — – Details
Peter Brötzmann
Peter Brötzmann galt als radikalster Vertreter des europäischen Freejazz. Sein Energyplaying holte aus dem Saxofon maximale Power. — Freie Improvisation, so hat es einmal der US-Komponist Frederic Rzewski beschrieben, ist wie Müll wegbringen. Was sich angesammelt hat, wandert sofort in die Tonne. Der Platz wird für Neues gebraucht, damit es weitergeht. Ein Vergleich, der Peter Brötzmann gefällt. — Er lacht herzhaft, ein kerniges Lachen, energiegeladen wie sein Saxofonspiel. «Ja, beim Improvisieren werde ich einiges los. Meine Art, Tenorsaxofon zu spielen, hat sehr viel damit zu tun, Licks und Töne verschwinden zu lassen. Ab in den Ofen damit!» — Seit fast 50 Jahren lässt Brötzmann Saxofontöne verschwinden. Sein spontanes, auch brachiales Spiel wider die Erwartungen hört auf den Namen Freejazz, und Brötzmann gehört hierzulande zu seinen Pionieren. Den Schritt vom Jazz zum Freejazz könne man nicht an einem Datum oder Ereignis festmachen, sagt er bescheiden. — Von innen aushöhlen — Und doch waren Brötzmann und seine Freunde Mitte der Sechziger federführend beim Aufbrechen der festgefahrenen musikalischen Formensprache des Jazz. Sie ignorierten Instrumentenhierarchien, traten im Kollektiv auf, was die Intensität der Performance erhöhte und die Songkonventionen von innen aushöhlte. Freejazz war beides, eine soziale und eine musikalische Umwälzung. — Und Brötzmann, der damals mit den Besten spielte, tut das heute noch. Er ist keinen Jota von seiner Linie abgewichen, was ihm in jüngster Zeit sehr viele neue junge Fans weltweit beschert hat. Brötzmann war ein Bilderstürmer, und er ist es immer geblieben. Einer, der zahlreiche stilbildende Freejazzalben aufnahm. Einer, der aber auch aus jedem künstlerischen schwarzen Loch wieder heil herausgefunden hat. Der in puncto Ausdrucksweise niemals Kompromisse gemacht hat. — Begonnen hat das alles in Wuppertal, wo der 1941 Geborene seit Jahrzehnten lebt und heute umgeben von Kunstwerken, Büchern und seinen Blasinstrumenten zwei Stockwerke eines schmalen Häuschens im Stadtteil Elberfeld bewohnt, unweit der Schwebebahn. Im Hinterhof liegt ein kleines Studio, in dem er malt und musiziert. In den frühen Sechzigern besuchte Brötzmann die Wuppertaler Werkbundschule. — Vom Fluxus lernen — Ursprünglich wollte er Maler werden, dann studierte er Grafik. In einer Galerie lernte er den Fluxuskünstler Nam Jun Paik kennen und wurde dessen Assistent. Nach Happenings reparierte Brötzmann etwa Paiks präpariertes Klavier. Von dem Koreaner lernte Brötzmann, wie wichtig es ist, in allen Belangen künstlerische Unabhängigkeit zu bewahren, was ihn später in seiner Haltung als Musiker bestärkte. — Im Mutterland des Jazz, den USA, symbolisierte Jazz Mitte der Sechziger das Prinzip Freiheit. Der Kampf der US-Bürgerrechtsbewegung gegen die Segregation übertrug sich auch auf die musikalische Ästhetik. — Diese Signale wurden in Deutschland verstanden, wenngleich den jungen Musikern der damals allgegenwärtige Hard-Bop-Sound musikalisch zu zahm erschien. «Freejazzmusiker wie Ornette Coleman und Albert Ayler lagen uns näher», so Brötzmann, der auch Konzerte mit diesen Erneuerern organisierte. Nächtelang hing er etwa mit Eric Dolphy ab, hörte zu, fragte, lernte. Der Trompeter Don Cherry gab ihm den Spitznamen «Machine Gun».
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