11.05.2023 – Radiokolleg – Ö1 – Andreas Maurer — – Details
Noten-Blatt
Lange schwankte die Habsburger Monarchie zwischen Schönheit und Abgrund. Nun ist der Erste Weltkrieg vorbei. Die Monarchie ist Geschichte, die Republik wird ausgerufen. Auch in der Kunst ist nichts mehr wie zuvor. Vier Hauptprotagonisten der Wiener Moderne – Gustav Klimt, Egon Schiele, Otto Wagner und Kolo Moser – sterben noch im selben Jahr. — Der Komponist Gottfried von Einem wird geboren. In Budapest feiert Bela Bartoks «König Blaubart» Weltpremiere, die Frankfurter Oper bringt Franz Schrekers Stück «Die Gezeichneten». Schönberg und Hauer suchen neue Ordnung im System der zwölf Töne.
Die Kompassnadel der europäischen Gesellschaft richtet sich neu aus: Picasso wird klassizistisch, Mondrian hat seinen ersten Auftritt. — Karl Kraus legt sein Monumentalwerk «Die letzten Tage der Menschheit» vor. Die weltweit erste Radioübertragung eines Weihnachtskonzertes geht in die Geschichte des Hörfunks ein. In Salzburg ruft der Jedermann von Hugo von Hofmannsthal den Beginn der Salzburger Festspiele aus. Max Reinhardt führt Regie. Erich Wolfgang Korngolds Oper «Die tote Stadt» feiert Premiere. Die Handlung spielt zwar in Brügge, lässt sich aber ebenso auf Wien übertragen. Denn die «tote Stadt» eine, die vor allem in der Vergangenheit lebt und einen «Tempel der Erinnerungen» kultiviert.
An der Wiener Staatsoper steht Ernst Krenkes «Jonny spielt auf» auf dem Programm, begleitet von Protestkundgebungen der NSDAP. — Die Künstler der ausklingenden Wiener Moderne dienen als Seismographen des nahenden Unheils: Schönberg beendet seine Oper «Moses und Aron», Oskar Kokoschka bürstet seine Malerei gegen den Strich. Der Schriftsteller Joseph Roth schreibt in dieser Zeit des entfesselnden Antisemitismus seinen «Radetzkymarsch». Eine Metapher auf den menschheitsgeschichtlichen Rückschritt. 1938 finden dann in — Düsseldorf finden die Reichsmusiktage statt, Richard Strauss dirigiert das Eröffnungskonzert.
Österreich vereinigt sich Mitte März auch politisch mit dem Deutschen Reich. Der Erste Weltkrieg hat den Schaffensrausch unterbrochen, der zweite hat ihn radikal beendet. «Ein Volk, eine Nation, Ein Führer» rufen die Anhänger der braunen Partei. «Tod den Juden» hallt durch die Straßen. Sigmund Freud schreibt nur zwei Wörter in sein Tagebuch: «Finis Austria». —
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