27.03.2023 – News – Welt Online – Hans-Joachim Müller — – Details
Nicole Eisenman
Augenwesen beim Selfie, Einsame im Biergelage, Depressive beim Schlammwaten: Nicole Eisenman malt Bilder wie aus dem Cockpit unserer psychotischen Gesellschaft – wild, garstig und einfach cool. Die New Yorker Künstlerin beweist mit jedem neuen Gemälde, was Kunst heute noch leisten kann. — Wüst geht es zu, und das muss so sein. «Piraten» sind gefangen genommen worden, werden auf der Insel Lesbos von nackten Frauen mit Kastrier-Werkzeugen empfangen. Ein Schlachten und Vergnügen ist das, dass man bitter bereut, als Kind einst den Berufswunsch des Piraten erwogen zu haben.
Nicole Eisenman hat die Szene mit erdig düsterer Brillanz aquarelliert. «Wahnsinnig lustig», liest man im Katalog zur Ausstellung. In jedem Fall ist das Gemälde «Captured Pirates on the Island of Lesbos» ein starker Stimmungsmacher in der Münchner Ausstellung, die drei Jahrzehnte Werkentwicklung der amerikanischen Malerin rekapituliert. — Anfang der Neunzigerjahre war es nicht ohne Risiko, mit den Fantasien der lesbischen Community in New Yorker Downtown-Galerien aufzutreten. Zumal Nicole Eisenman gleich mit Riesenformaten auftrumpfte, auf denen vorzugsweise gehauen, gestochen, gehängt und gefickt wird, und die nackten Leiber gerümpelartige Haufen bilden, dass man an Dantes neunten Kreis der Hölle denkt. Dabei scheint es dem gewalttätigen Menschsein an gebührendem Ernst zu mangeln.
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