16.03.2023 – News – Zeit Online – Klaus Mertes — – Details
Antje Vollmer
Antje Vollmer war fromm, eine Brückenbauerin. Dabei stieß sie auf Widerstände auch in der eigenen Partei, den Grünen. Aufhalten konnte sie das nie. Ein Nachruf — Mein letzter Ausflug mit Antje Vollmer ging zu einem russisch-orthodoxen Kloster in der Uckermark. Es war an einem diesigen Herbsttag des vergangenen Jahres. Antje Vollmer bat mich, mit ihr zur kommen. Sie wollte ein kleines Zeichen setzen gegen das Verstummen des Gesprächs mit Russland, ein Zeichen, das ihr noch in ihrer zunehmenden Schwäche möglich blieb.
— Sie trauerte um das Ende des zivilgesellschaftlichen Dialoges mit Russland, um den Verlust vieler Mitstreiter, mit denen sie noch am 5. Dezember 2014, nach der Annexion der Krim durch Russland, einen Aufruf in der ZEIT veröffentlicht hatte: «Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!» Darin stand: «Niemand will Krieg. Aber Nordamerika, die Europäische Union und Russland treiben unausweichlich auf ihn zu, wenn sie der unheilvollen Spirale aus Drohung und Gegendrohung nicht endlich Einhalt gebieten. Alle Europäer, Russland eingeschlossen, tragen gemeinsam die Verantwortung für Frieden und Sicherheit. Nur wer dieses Ziel nicht aus den Augen verliert, vermeidet Irrwege.»
Sie sah sich am 24. Februar 2022 durch den Überfall Russlands auf die Ukraine auf schreckliche Weise bestätigt, genau umgekehrt wie diejenigen, die meinten, dass es gerade die Illusion von gemeinsamer Verantwortung gewesen sei, in deren Windschatten sich Putin zum Überfall auf die Ukraine ermutigt fühlen konnte, nachdem er ja bereits mit der Annexion der Krim die Gemeinsamkeit hinter sich gelassen hatte.
Nur wenige, die ihre Meinungen nicht teilten, blieben ihr als Freunde erhalten, wie etwa der im November 2022 verstorbene Bürgerrechtler Werner Schulz. In ihrer eigenen Partei sah sie nicht ohne Bitterkeit «Joschkas Kinder» am Ruder. Joschka Fischer, ihr alter Kontrahent, war es gewesen, der 1999 dem Sonderparteitag der Grünen die Zustimmung zum Kosovo-Einsatz der Nato abgerungen hatte. Für Antje Vollmer war es das Schlüsselereignis, mit dem die Fahrt der deutschen Politik in die neue Konfrontation mit Russland begonnen hatte. Der Ökopartei blieb sie zugleich treu. Sie saß zwischen allen Stühlen.
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