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Über Entscheidungsprozesse im Jazz während der Improvisation – Christopher Dell

18.01.2023Round MidnightNDR KulturMauretta Heinzelmann —   –  Details

Christopher Dell

Wählen aus einem «Meer der Möglichkeiten», Entscheidungen treffen – das ist in vielen Bereichen wichtig und bedeutsam. Kann Jazz als Modell für spontanes Entscheiden herhalten? Kann man stimmiges Entscheiden durch Jazz erlernen? Stehen doch Jazzausübende ständig vor der Wahl, auch während des Spielens im Konzert: Tief oder hoch? Leise oder laut? Die Melodie – so wie man sie kennt – oder sie variierend? Der Klang rau oder herzlich? In der Harmonie bleibend oder sie spannungsreich kontrastierend? Mit dem Groove oder darüber hinwegfliegend? Solche Entscheidungen zu treffen, das haben Jazzmusiker*innen ständig in der Hand, in der Livesituation beeinflusst durch die Stimmung im Raum, die Dynamik der Band, die Energie des Publikums.

 

Welche schöpferischen Entscheidungen im Jazz getroffen werden, das wird die Musik prägen – teilweise vor der Spielsituation (Komposition) oder in der Spielsituation (Improvisation). Aus verschiedenen Möglichkeiten wählen die Spielenden das aus, was sie für musikalisch sinnvoll halten. — Vibrafonist Christopher Dell fand das musikalische «Meer der Möglichkeiten» schon früh verlockend: Klänge können so oder anders weitergehen, warum sollte man eine Grundidee, ein Motiv, ein Thema nicht in eine andere Richtung ausschöpfen? Dell verwendet dafür den Begriff der Kontingenz, der auf das Nicht-Berechenbare abzielt, auf ein «es könnte auch anders sein». Wenn der Vibrafonist klassische Stücke interpretierte, kam es ihm seltsam vor, nicht die Wahl zu haben, Kontingenz war nicht möglich, da kompositorisch alles festgelegt war. «Deswegen suchte ich eine Musik», sagt Dell, «in der die Kontingenz erlaubt war – und die war der Jazz.»

 
 

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