22.01.2023 – Milestones – Ö1 – Gerhard Graml —
Charlie Parker
Der 2018 verstorbene Jazztrompeter Roy Hargrove konnte sich im Laufe seiner Karriere als eine treibende Kraft in der zeitgenössischen Jazzszene etablieren. In jungen Jahren trat er vor allem als Hardbop-Musiker in Erscheinung, und viele Jazzfans dachten damals, dass Hargrove in die konservativen Fußstapfen seines einstigen Mentors Wynton Marsalis treten würde. Und zumindest in den ersten Jahren sah es auch ganz danach aus, bevor Roy Hargrove dann aus der vorgezeichneten Bahn ausscherte und seine Experimente zwischen Jazz, HipHop und Rhythm & Blues begann.
Dass er das musikalische Vokabular geschmackssicher beherrschte, konnte er in frühen Jahren mit seinen Aufnahmen für das Label Verve beweisen, auf denen er nicht nur den Meistern des Genres seinen Respekt erwies, sondern auch stilistische Vielseitigkeit und Offenheit an den Tag legte. Gemeinsam mit zwei weiteren «jungen Löwen» seiner Generation, nämlich Bassist Christian McBride und Pianist Stephen Scott, nahm Roy Hargrove 1995, zur Erinnerung an den 75. Geburtstag von Charlie Parker, das Album «Parker›s Mood» auf. — Die Aufnahme ist eine außergewöhnliche Hommage an den Bebop-Virtuosen, und sie verblüfft auf den ersten Blick vor allem durch die Abwesenheit jenes Instruments, das einen wesentlichen Teil von Charlie Parkers Musik ausmacht. Obwohl auf den vertrauten Klang des Saxofons und den Drive eines Schlagzeugs verzichtet wird, tut das dem Swing des Trios und der Virtuosität der Darbietung keinen Abbruch. Im Gegenteil, die Leichtigkeit der perfekt ausbalancierten Instrumentierung, die zwischen Trio, Duo und Solo wechselt, ist gerade eine Stärke dieser Interpretation. Das abwechslungsreiche Programm setzt sich zusammen aus Charlie-Parker-Klassikern – etwa «Yardbird Suite» – und selten gespielten Stücken wie «Klactoveedsedsteene» oder «Laird Baird», die in ungewöhnlicher Besetzung und innovativer Interpretation erklingen. Zu nennen sind auch das als Bass-Solo zu hörende Stück «Red Cross» und ein reizvoll arrangiertes «Chasin› the Bird» als Duett von Trompete und Bass. — Das Dreiergespann Hargrove/McBride/Scott betrachtet auf «Parker›s Mood» eine alte Kunst unter einem neuen Licht, bleibt einerseits dem Genre treu und unterscheidet sich doch von unzähligen anderen Tribut-Alben.
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