Kommentare 0

Performance, Poesie, Politik / Die süße Melodie der Feuerlöscher / Sven-Åke Johansson / Jazzfest Berlin 2022

06.11.2022NewsTagesspiegelGregor Dotzauer —   –  Details

Sven-Åke Johansson,

Von Peter Brötzmann bis zu Kirke Karja: Impressionen vom Berliner Jazzfest 2022.

 
 

Der Auftritt des 81-jährigen Saxofonisten Peter Brötzmann, den Bert Noglik mit dem Ehrenpreis der Deutschen Schallplattenkritik auszeichnete, war so ein Fall. Die teutonische Wucht seiner altersbedingt abgemilderten, doch vom Ton her nach wie vor brennenden Free- Jazz-Attacken kontrastiert diesmal mit sehnig-satten Grooves. Wo er vor einem halben Jahrhundert mit Sven-Åke Johansson oder Peter Kowald laut dem Himmel zürnte, da erden ihn nun der amerikanische Schlagzeuger Hamid Drake und der marokkanische Gimbri-Virtuose Majid Bekkas. — Hohe Reibungsenergie — Eine sich gegenseitig anstachelnde Rhythmusgruppe, die den Boden für Brötzmanns Ausbrüche bereitet. In dieser Konstellation hat das etwas von ermäßigtem Berserkertum – oder von bloßer Kombinatorik. Auf diesem Fundament hätten sich auch viele andere entfalten können. Dennoch: Die Reibungsenergie ist außerordentlich.

 

— Zuerst zum Aufsehen erregendsten Spektakel des Jazzfests Berlin: Wie hört sich eine Ouvertüre für 15 Handfeuerlöscher an? Sven-Åke Johansson, der schwedische Schlagzeuger, Sprach-, Bild- und Performancekünstler und in diesem Fall Komponist und Dirigent, hat sie schon 2003 an der Berliner Akademie der Künste uraufgeführt.

 

— Wenn «MM schäumend» nun an die Spree zurückkehrt, das einen Fokus auf das Lebenswerk des mittlerweile 79-Jährigen richtet, handelt es sich nicht um die Neuerfindung der Perkussion aus dem Geist der Brandschutzverordnung, sondern um die Reprise eines zeitgenössischen Klassikers.

 

— Zwei einander diagonal gegenüberstehende Reihen von Profimusikern, in der Mitte das Pult des Meisters, der unter Einbeziehung langer Pausen das Signal zum Einsatz gibt. Man hört nicht nur, wie es in unterschiedlichen Konstellationen fünf Minuten lang zischt, braust und schließlich röchelt.

 

Attacke auf Attacke — Man sieht, wie auf vorsichtige Sprühstöße die massive Gegenattacke mit über die Bühne jagenden Schaumwolken folgt, als würden zwei verfeindete Feuerwehrvölker übereinander herfallen. Vor allem riecht man noch lange nachher, was ihren mit unterschiedlichen Lösungen befüllten Geräten entkreucht.

 

— Ja: Dieses Gesamtkunstwerk ist eine riesige Sauerei. Und: Es ist absurder Quatsch. Zugleich ist es ein Kindern wie Erwachsenen einleuchtender Spaß. Über das bloße Happening hinaus zeichnet er sich dadurch aus, dass Sven-Åke Johansson das von Beginn an aufflammende Gelächter immer wieder mit heiligem Ernst und strenger Geste erstickt. Was Kunst ist, im Unterschied zu einer Schaumparty, entscheidet die Haltung.

 
 

SK-try202*