Der Anti-Toscanini – Willem Mengelberg – umstritten, unwiederholbar

27.03.2021SpielräumeÖ1Chris Tina Tengel —   –  Details

Das Jazzinstitut

Wer in die symphonische Aufnahmegeschichte der Zwischenkriegszeit eintaucht, stößt zwangsläufig auf Willem Mengelberg. Ein halbes Jahrhundert lang war der vor 150 Jahren geborene Niederländer Chefdirigent des Concertgebouw Orchesters Amsterdam, dort Vorkämpfer der Musik Gustav Mahlers und unzähliger weiterer Zeitgenossen. Die jährliche Palmsonntagsaufführung der Bach’schen «Matthäus-Passion» geht auf Mengelberg zurück, die Hebung des Klangkörpers auf Weltniveau ebenfalls. Die tontechnisch präsentabelsten Teile von Willem Mengelbers klingendem Erbe, speziell ein komplett live mitgeschnittener Beethoven-Symphonien-Zyklus aus Amsterdam, erklären, warum es in den 1920er Jahren beim New York Philharmonic zum Krach zwischen den parallel dort tätigen Pult-Diktatoren Mengelberg und Arturo Toscanini kommen musste: Zur (sich später immer mehr zuspitzenden) Tempo-Rigidität des Italieners steht Mengelbergs auf extremer Freiheit im Umgang mit dem Notentext basierender, in seiner Zugespitztheit oft faszinierender Interpretationsstil in krassem Gegensatz. Dieser Interpretationsstil wurde zugleich von Mengelberg selbst diskreditiert und ging so mit ihm unter: Während der NS-Okkupation der Niederlande hatte sich der Dirigent den neuen Machthabern spektakulär angebiedert; 1945 wurde er mit Berufsverbot belegt und starb 1951, ohne nochmals aufgetreten zu sein.

 
 

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